Die Violine des Teufels
unerfahrenen Täter getroffen wäre. Ansonsten umgibt diesen Fall ein Wald aus Fragezeichen, angefangen bei der Zwei-Millionen-Dollar-Frage: Wo ist die Geige?«
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Paris, einen Tag nach dem Verbrechen
A rsène Lupot ging aus, um einen Spaziergang auf dem Boulevard Saint-Germain zu unternehmen, zur Feier der guten Nachricht, dass er noch diese Woche nach Madrid reisen und seinen Vortrag im Círculo de Bellas Artes halten würde. Einer der Gastredner hatte kurzfristig abgesagt, und da Lupot seinen Vortrag bereits seit langem fertig vorbereitet hatte, konnte er kurzfristig einspringen. Der von Musik und einer PowerPoint-Präsentation begleitete Vortrag trug den Titel »Die Violine – Prinz und Bettler« und wurde überall begeistert aufgenommen, denn es handelte sich nicht um eine trockene Aneinanderreihung von Daten und Fakten zur Geschichte des Instruments, sondern um eine sehr unterhaltsame Schilderung seiner Entwicklung. Lupot erzählte seinem Publikum, dass die Geige seinerzeit – wie in Spanien mit der spanischen Gitarre geschehen – ein sehr geringes Ansehen genossen und als eine Art Wirtshausinstrument gegolten hatte. Die großen Komponisten der damaligen Zeit hatten sie übergangen und gering geschätzt und die Laute oder die Viola da Gamba vorgezogen, um ihre musikalischen Ideen umzusetzen, bis Monteverdi die Geige zur Komplementierung der Gesangsparts in seiner Oper L’Orfeo gewählt hatte.
Der Vortrag bot Lupot überdies Gelegenheit zu einem liebevollen Exkurs über große Amateurgeiger, seien sie nun aus Fleisch und Blut wie Albert Einstein – Lupot behauptete, hätte Einstein nicht Geige gespielt, dann hätte er die Relativitätstheorie vielleicht niemals entwickelt –, oder der Fantasie eines Schriftstellers entsprungen wie Sherlock Holmes, der im Geigenspiel die Inspirationen zur Lösung seiner Fälle sucht.
Nach einem Frühstück im legendären Café de Flore, für das er beinahe dreißig Euro hinblättern musste, betrat Lupot ein Schallplattengeschäft. Natalia de Francisco, Roberto Clementes Frau, liebte das französische Chanson, und Lupot wollte einige CDs kaufen, um sie seiner Gastgeberin als Geschenk mitzubringen. Er erwarb ein halbes Dutzend Aufnahmen, die in Spanien vermutlich nur schwer erhältlich waren, und beschloss dann aus beruflichem Interesse, ein wenig in der Abteilung für klassische Musik zu stöbern. Als er das Album sah, das Ane Larrazábal gerade herausgebracht hatte, zuckte er unwillkürlich zusammen. Ein Verkäufer sagte ihm, die ersten Exemplare der CD seien erst an diesem Morgen eingetroffen, daher sei noch keine Zeit gewesen, sie als die große Neuerscheinung des Monats im Schaufenster zu präsentieren.
Der Titel der Platte lautete L’instrument du diable, und auf dem Cover war die berühmte Geigerin vor höllenrotem Hintergrund abgebildet. Mit verstörend mehrdeutiger Miene blickte sie in die Kamera: Ihre großen blauen Augen strahlten eine engelhafte Güte aus und zeigten sie dem Publikum als bezauberndes, vertrauenswürdiges Geschöpf; doch ein Mundwinkel war zu einem angedeuteten grausam-herzlosen Lächeln herabgezogen, das ihren Blick Lügen zu strafen schien und dem gesamten Foto etwas Bedrohliches verlieh – eine Wölfin im Schafspelz.
Um das Teuflische noch zu betonen, hatte Ane Larrazábal sich für das Foto in ein seltsames schwarzes Gewand mit Kapuze gekleidet, in dem sie wie die Hohepriesterin der Finsternis aussah. In den Händen hielt sie – oder vielleicht sollte man besser sagen, schwebte frei – ihre berühmte Stradivari. Die Schnecke, die Lupot für sie angefertigt hatte, war in ein kleines Inferno aus feurigen Zungen getaucht, die sie zu verzehren schienen. Lupot drehte die CD um, weil er sehen wollte, welche Stücke darauf waren: Es waren die berühmtesten Werke der klassischen Musik, die mit dem Teufel zu tun hatten. Eröffnet wurde das Album von Camille Saint-Saëns’ Danse macabre, der auf einem Gedicht des französischen Dichters Henri Cazalis aus dem neunzehnten Jahrhundert beruhte. In diesem berühmten Werk soll die Musik den Tod beschreiben, umgeben von Skeletten, die zum Klang seiner Violine bis zum Morgengrauen frenetisch tanzen. Lupot erinnerte sich an den Beginn des Stücks, in dem das beunruhigende »Teufelsintervall« vorkommt, ein Akkord aus zwei Tönen, der im Mittelalter von der Kirche verboten wurde, weil es hieß, er habe die Macht, den Teufel zu beschwören. Als Danse macabre 1875 uraufgeführt wurde, nahm das
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