Die Violine des Teufels
konnte.
»Diese Metallspitze ist wirklich gefährlich«, hielt Rescaglio sich selbst vor. »Ich muss endlich das Stachelgummi benutzen. Ich habe es im Cellokoffer, aber ich nehme es immer ab, denn bei mir zu Hause rutscht der Stachel übers Parkett, und es ist extrem unbequem, so zu spielen.«
Schließlich legte Rescaglio das Cello zurück in den Koffer, verabschiedete sich von Gregorio und verschwand in der Madrider Nacht.
36
Vitoria, am nächsten Tag
D as Jesús-Guridi-Konservatorium war ein modernes, Mitte der achtziger Jahre erbautes graues Backsteingebäude auf drei Ebenen, von denen jede höhere Ebene ein Stück breiter als die daruntergelegene war und einige Meter darüber hinausragte. Das dritte Geschoss wurde außen von hellen Pfeilern gestützt, die bis zum Erdboden reichten und der gesamten Konstruktion das urtümliche Aussehen eines Pfahlbaus verliehen.
Da Villanueva die Angewohnheit hatte, sich wie eine Frau vor dem Ausgehen sorgfältig zurechtzumachen, kamen Perdomo und er zehn Minuten zu spät zu ihrer Verabredung. Beim Pförtner wiesen sie sich als Kriminalpolizisten aus, woraufhin dieser sie in den großen Konzertsaal ließ, in dem einige höhere Semester etwas probten, was wie ein Barockkonzert klang. In Wirklichkeit handelte es sich um eine Kammerorchesterbearbeitung der berühmten Teufelstrillersonate für Violine und Basso continuo von Giuseppe Tartini. In einem eigenhändigen Schreiben Tartinis, das man in Assisi fand, steht dazu zu lesen:
Eines Nachts träumte mir, ich hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Im Tausch gegen meine Seele schwor der Teufel mir, er werde immer an meiner Seite sein, wenn ich ihn brauchte. Einem Einfall folgend, reichte ich ihm im Traum meine Violine, um zu sehen, ob der Teufel Musiker war, und zu meinem Erstaunen war die Musik, die er nun anhub zu spielen, so exquisit, so unermesslich inspiriert und schön, dass ich mich für die Dauer seines Spiels nicht rühren konnte. Mein Puls blieb stehen und ich vermochte nicht zu atmen, bis ich schließlich erwachte. Sofort nahm ich meine Violine und begann zu spielen, indem ich versuchte, mich an das im Traum Gehörte zu erinnern. Wie im Fieber versuchte ich, die Noten zu Papier zu bringen, aber wenn auch die daraus erwachsene Sonate das Beste ist, was ich in meinem Leben komponiert habe, so kann sie sich doch nicht mit dem messen, was der Teufel in meinem Traum spielte.
Der große Konzertsaal des Konservatoriums bietet Platz für sechshundertfünfzig Besucher sowie auf der Bühne für etwa zweihundert Musiker. In diesem Saal erschien den beiden Polizisten das kleine, im Halbkreis angeordnete Kammermusikensemble noch kleiner, als es ohnehin war. Don Íñigo Larrazábal war nicht nur Professor für Violine, sondern leitete den gesamten Fachbereich Saiteninstrumente des Konservatoriums. Die Kriminalpolizisten fanden ihn auf einem Platz in der ersten Reihe, von wo aus er dem Ersten Geiger, der ganz links außen auf der Bühne saß, Ratschläge erteilte.
Hätte Perdomo Gelegenheit gehabt, ein Foto des Komponisten Jesús Guridi, des Namensgebers des Konservatoriums und Schöpfers der berühmten Diez melodías vascas, also der Zehn baskischen Melodien, zu betrachten, dann wäre ihm aufgefallen, dass Don Íñigo sein lebendes Abbild war: von kleiner Gestalt, mit Halbglatze und einem grauen Schnurrbart in Form eines gleichschenkeligen Dreiecks, großen Ohren, markanter Nase und obendrein einer altmodischen Fliege, die ihm in gewisser Weise das Aussehen eines Menschen aus dem neunzehnten Jahrhundert verlieh, wenn auch eindeutig distinguiert.
Als er die Polizisten sah, stand er auf und schickte die Musiker für eine halbe Stunde in die Pause. Dem Ersten Geiger sagte er noch: »Denk daran: crescendo ist nicht accelerando. Das ist ein Fehler, den sogar die größten Dirigenten machen. Ihr müsst ganz allmählich lauter werden, ohne euer Tempo zu verändern. Du weißt schon, wie bei Ravels Boléro. «
Der Mann machte sich eine Notiz in der Partitur und verschwand dann mit den anderen Musikern hinter den Kulissen, so dass die Polizisten sich mitten im Konzertsaal völlig ungestört mit Don Íñigo unterhalten konnten.
»Wie kommt es, dass ich Sie heute gar nicht mit der Geige in der Hand sehe?«, fragte Perdomo, um das Eis zu brechen. »Ich war bei der Trauerfeier für Ihre Tochter – Sie haben uns mit diesem Bach-Stück alle zu Tränen gerührt.«
Don Íñigo schloss kurz die Augen, als würde er jenen bewegenden
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