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Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition)

Titel: Die Violine von Auschwitz: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Àngels Anglada
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wiedererkannt, die sich durch das Entsetzen, das sie einflößten, unverwechselbar in sein Gehör eingeprägt hatten, so wie ein glühendes Eisen die Haut brandmarkt. Die kräftigere, tiefere Stimme war die Sauckels. Die andere jene Raschers. Herr, lass mich nicht wie versteinert dastehen, lass mich nicht alles verderben.
    Es schien ihm, als könnten alle sein Herz schlagen hören, doch er bewahrte einen kühlen Kopf. Noch waren sie nicht bis zu dem etwas abseits gelegenen Winkel der Werkstatt vorgedrungen, in dem er arbeitete. Er legte die Geigendecke vorsichtig auf den Tisch, an dem er die Feinarbeiten ausführte, ging zur Tischlerbank und nahm das Ahornholz zur Hand, das er schon zugeschnitten hatte, um den Hals anzufertigen. Er warf einen anerkennenden Blick auf die schön geflammten, von oben nach unten verlaufenden Maserungen und begann, eine Seite mit dem Hobel zu glätten. Das, so hatte er im Bruchteil einer Sekunde gedacht, beherrsche ich beinahe im Schlaf, also werde ich es auch schaffen, wenn Rascher seinen kalten Blick auf mich richtet. Die gleichmäßige Bewegung des Hobels ließ ihn ruhiger werden; da standen sie schon vor ihm.
    »Was macht die Geige?«
    Mit Erstaunen bemerkte er, dass die Stimme des Kommandanten ohne Spur von Spott oder Hohn war. Er schien mit der üblichen Neugierde eines Kunden zu fragen. Also antwortete er, ohne zu zaudern:
    »Alles in Ordnung, keine Probleme.«
    Er sprach und unterbrach dabei seine Arbeit nicht. Schließlich wusste man nie, wie sie reagierten. Manchmal hatten sie ihn geschlagen, weil er nicht strammgestanden hatte, wenn sie ihn ansprachen, ein andermal deshalb, weil er es getan und nicht weitergearbeitet hatte. Doch diesmal wurde er von Schlägen verschont. Während er weiterhobelte, sah er aus dem Augenwinkel, dass sie immer noch vor ihm standen. Neugierig beobachteten sie, wie er den Winkel und das Lineal nahm und die Maße exakt überprüfte. Sie betrachteten offensichtlich zufrieden die nunmehr glatte, schön gemaserte Oberfläche des Holzes. Wann würden sie endlich wieder verschwinden, diese Dreckskerle? Da er flink arbeitete, musste er nun das Modell für den Halsstock zur Hand nehmen und die Form nachzeichnen: den Querschnitt, die Rundung am unteren Ende, all das musste er mit dem Spitzeisen markieren und schließlich die elegante Krümmung der Schnecke skizzieren. Es fiel ihm schwer, diese Arbeit unter dem prüfenden Blick dieser vier Augen auszuführen, die auf seine noch immer sicheren Hände geheftet waren. Ihm fehlte die nötige Ruhe dazu. Endlich hörte er, wie sie sich entfernten, und seinen Körper durchströmte ein Gefühl großer Erleichterung, wie wenn das Fieber einen Kranken verlässt. Als die unerträgliche Spannung von ihm wich, ließ er den Halsstock auf die Bank sinken und wischte sich mit der Hand über die schweißnasse Stirn.
    Während der zwei Schritte zum Arbeitstisch wurde ihm bewusst, wie viel Angst er ausgestanden hatte – ihm schlotterten die Knie, und als er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr, bemerkte er, dass sie ebenso trocken waren wie seine Kehle. Er stützte sich einen Augenblick am Tisch ab und atmete tief durch; er wollte nicht um Erlaubnis bitten, austreten zu dürfen, womöglich wäre er sonst nur wieder dem Besucherpaar begegnet. Ihre Inspektion war ihm so lang vorgekommen, dass er damit rechnete, nun bald die Sirene zu hören. Er musste weiterarbeiten, um nicht die Aufmerksamkeit des Kapos auf sich zu ziehen, weil er zu lange – ein paar Minuten – ausruhte.
    Die Inspektion hat zumindest keine schlimmen Folgen nach sich gezogen, dachte er, niemand aus meiner Werkstatt ist geschlagen oder bestraft worden; dieser Gedanke half ihm, sich zu beruhigen. Er nahm, nun merklich gefasster, die Messuhr und das kleine Millimeterband zur Hand, um die Stärke der Deckenwölbung zu überprüfen und danach mit dem kleineren Wölbungshobel weiterzuarbeiten. Zum Glück hatte ihm sein Vater – gesegnet sei sein Andenken – das Handwerk so gut beigebracht. Zufrieden betrachtete er das Ergebnis seiner Arbeit an diesem so ereignisreichen Tag. Morgen würde er mit winzigen Holzstreifen, dünn wie die Spitze eines Fingernagels, die beiden Hälften verstärken, die Innenseite mit Sandpapier abschleifen und darauf achten, dass die Ränder abgerundet blieben.
    Er strich mit der Hand über die sanft gewölbte Innenseite der Decke. Auf seinen Tastsinn vertraute er ebenso wie auf die Messuhr, und er hatte nie geglaubt, dass irgendein

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