Die Vipern von Montesecco
Sgreccias Stelle reagiert hätte. Als Vater sozusagen.
»Kscht, Nerone!« Der Kater duckte sich und sprang vom Tisch.
Den Tisch hatte Costanza Marcantonis Großvater eigenhändig gezimmert. Das mußte vor 1915 gewesen sein, denn solange sich Costanza zurückerinnern konnte,war er dagewesen. Nur selten bedauerte sie, daß sie keine Kinder hatte und daß ihre Neffen schon seit Jahrzehnten nichts mehr von Montesecco wissen wollten, doch tat es ihr leid, daß sie diesen Tisch nicht in der Familie weitervererben konnte. An ihm hatte sie mit ihrer Großmutter Kräuter gehackt und Aufgüsse vorbereitet. Hier hatte sie schon als kleines Mädchen gelernt, daß Spinnweben Wunden schlossen und der Absud der Wilden Malve gegen Skorpionstiche half, während ihre Geschwister nichts Besseres zu tun hatten, als draußen zu spielen. Ihr ganzes Leben lang hatten Lidia und Franco ihre Kraft verplempert. Kein Wunder, daß sie jetzt wie zwei Häufchen Elend dasaßen. Costanza grummelte.
»Die armen Lucarellis«, sagte Lidia Marcantoni. »Daß gleich beide ohne den Segen der Kirche gehen mußten!«
»Gott würde es ihnen nachsehen, wenn es ihn gäbe«, nuschelte Franco Marcantoni. Er zwirbelte die Härchen, die aus seinem rechten Ohr wuchsen.
»Ich überlebe dich, Franco«, sagte Lidia, »und ich garantiere dir, du bekommst eine christliche Beerdigung, wie es sich gehört. Da kannst du dich in deinem Testament noch so sehr dagegen wehren!«
»Und ich garantiere dir, daß ich aus dem Sarg aufstehen und deinen Pfarrer zum Teufel schicken werde.«
»Hör auf, in deinem Ohr herumzubohren! Das tut man nicht.«
»Kindsköpfe«, murmelte Costanza. Sie wischte mit der Hand über die schweren Eichenbretter des Tischs, die über die Jahrzehnte schwarz geworden waren. In die Mitte stellte sie ein großes Einmachglas. Auf dem vergilbten Etikett stand in fast verblaßter Tintenschrift: Pere sciroppate, 1952 . Doch statt der eingemachten Birnen befand sich eine klare Flüssigkeit in dem Glas. Und unten am Boden, längs der Wölbung, rollte sich der Kadaver einer schwarzen Viper.
»Mein Gott!« Lidia Marcantoni bekreuzigte sich.
»Was ist denn das wieder für eine Sauerei?« fragte Franco. Er beugte den Kopf nach vorn.
»Ein Beweisstück. In Spiritus eingelegt.« Costanza nickte zufrieden.
»Die Viper, die Giorgio gebissen hat?« Lidia bekreuzigte sich noch einmal.
Costanza nickte. Nerone war ganz wild auf die Schlange gewesen. Er spielte so gern. Doch wenn ihm Costanza auch sonst keinen Wunsch abschlagen konnte, diesmal war sie hart geblieben. »Nein«, hatte sie gesagt, »nein, Nerone, das brauchen wir noch.«
»Sie ist doch tot, oder?« fragte Lidia. Sie tippte mit dem Finger gegen das Glas.
»Ohne kirchlichen Beistand gestorben. Das arme Tier!« sagte Franco.
»Ihr begreift gar nichts!« sagte Costanza. Schon als Kinder waren ihre beiden Geschwister so gewesen. Immer nur Spaß und Tollerei im Sinn, hatten nichts lernen wollen und hatten nichts gelernt. Da besaß ja Nerone zehnmal mehr Grips. Costanza streichelte den Kater, der um ihren Rock strich.
»Nun sag schon!« sagte Franco. »Verarbeitest du die Schlange zu einem Trank fürs ewige Leben?«
Es war ein Fehler gewesen, sich von den beiden Hilfe zu erhoffen. Bloß weil Lidia und Franco mit ihr verwandt waren und im Gegensatz zu Nerone ihre Meinung sagen konnten.
»Ich habe sie bei Godis Haus gefunden«, sagte Costanza. »Wo Giorgio seine Oliven hatte.«
»Wie kam er dann zur Brücke vor Angiolinis Hof, wo er gefunden wurde?« fragte Franco. »Eineinhalb Stunden entfernt? Am Dorf vorbei?«
»Eben«, sagte Costanza.
Lidia studierte die Schlange so ehrfürchtig, als handle es sich mindestens um den Leichnam des heiligen Sebastian, in dem noch Dutzende von Pfeilen steckten. Sie sagte:»Die ist mehr als tot. Seht mal, wie die zugerichtet ist. Als hätte einer in blinder Wut noch auf sie eingeschlagen, als sie sich schon lange nicht mehr rührte.«
»Selbst du würdest ihr nicht den linken Arm hinhalten, wenn sie dich schon in den rechten gebissen hat«, sagte Franco.
Lidia hatte recht. Keine Stelle ohne Quetschungen und offene Wunden, von denen die Hautfetzen weghingen.
»Die Viper war unter einem Haufen Bruchsteine begraben«, sagte Costanza.
»Auch kein christliches Begräbnis«, sagte Franco.
»Man begräbt Menschen, keine Schlangen«, sagte Lidia.
»Sie war unter einem Haufen Bruchsteine begraben ?« fragte Franco.
Costanza brummte zufrieden. Das hatte die sich doch
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