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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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bestehst, daß du mehr bist und anders, dann lachen sie dich aus. Bestenfalls stecken sie dich in eine Schublade, die ihnen gerade paßt. Vannoni? Das ist der, der nicht sein will, wer er eigentlich ist. Sie würden es immer besser wissen. Das war ihm so gegangen,das würde Catia so gehen. Es würde ihr nichts nützen, wenn sie auf ihrem Geheimnis bestand und den Leuten die kalte Schulter zeigte. Montesecco war stärker.
    Vannoni war es damals einfacher erschienen, die Welt umzukrempeln als sein Heimatdorf. Dafür gab es Rezepte. Nicht das der Recht-und-Ordnung-Kommunisten vom PCI. Schnell langte Vannoni viel weiter links außen an. Er war nicht der einzige. In den 70ern brodelte Italien. Demonstrationen, Streiks, Fabrikbesetzungen, proletarische Enteignungsaktionen, Kämpfe Hunderter außerparlamentarischer Gruppen und Grüppchen überall. Vannoni schloß sich der Lotta-Continua-Fraktion in Urbino an. Ganze Nächte schrieb er an Flugblättern und Artikeln. Er agitierte in der Großschreinerei in Fermignano, wo er angestellt war. Er diskutierte auf Kongressen, prügelte sich mit Polizisten, Denunzianten und Rechtsabweichlern. Als Lotta Continua zerbrach, wurde er nur noch militanter. Er glaubte felsenfest an die Revolution.
    Und er glaubte daran, daß sie nicht von selbst käme. So sehr, daß er nur noch einen kleinen Schritt vom bewaffneten Kampf entfernt war. Einen halben Schritt, den zu tun Tag für Tag notwendiger schien. Bis zu jenem 16. März 1978, als die Genossen und er in Urbino Molotowcocktails abfüllten, um in der Nacht das Ortsbüro der Neofaschisten vom MSI anzugreifen. Das war lange her. Es waren andere Zeiten gewesen.
    Vannoni blieb neben Marisa Curzio stehen. Sie saß in dem schmalen Schattenstreifen, der langsam zur Brüstung hinwandern würde, und pulte Erbsen in ein Sieb auf ihrem Schoß. Vannoni lehnte den Rücken an den Putz. Er spürte die Wärme, die von der Mauer abstrahlte. Gelb und grau wellten sich die Hügel in die Ferne. Das Grün der Waldfetzen biß in den Augen.
    »Sieh mal einer an«, sagte Marisa Curzio. »Du traust dich doch mal auf die Straße!«
    »Wußtest du, daß Catia schwanger ist?« fragte Vannoni.
    »Sie hat es ja laut genug herumgeschrien.«
    »Vorher, meine ich?«
    »Vorher?« Marisa Curzio brach eine Erbsenschote auf. Sie fuhr mit dem Daumen an der Innenseite der Schote entlang. Die Erbsen kollerten ins Sieb. »Man hat vielleicht etwas munkeln hören.«
    »Und was hat man über den Vater gemunkelt?«
    »Nichts«, sagte die Curzio. Ihr Sohn Davide war ein paar Jahre älter als Catia. Vannoni hatte ihn noch nicht gesehen. Vielleicht studierte er in Bologna oder sonstwo.
    »Man munkelt, daß eine siebzehnjährige schwanger ist, und vom möglichen Vater ist nicht die Rede? In einem Kaff wie Montesecco? Erzähle mir doch keine Märchen, Marisa!«
    »Die Männer sind eh alle gleich. Da sagt keiner nein, wenn sich die Gelegenheit bietet«, sagte Marisa Curzio. Ihr Mann hatte ein Jahr nach Davides Geburt Arbeit in Belgien gefunden. Und kurz darauf eine andere Frau. Der hat er vier Kinder gemacht. Das wenigstens hatte Elena erzählt.
    »Wer war es?« fragte Vannoni.
    Marisa zuckte die Achseln.
    Vannoni wandte sich um, doch Marisa sprach ihn noch einmal an: »Man soll ja über Tote nicht schlecht reden, aber wie Carlo Lucarelli dich vorgestern abend angegangen ist, das war nicht in Ordnung. Ich fand es gut, daß du dich gewehrt hast, Matteo. Das wollte ich dir noch sagen.«
    Vannoni ging weiter. Daß er sich gewehrt hatte! Er hatte einfach die Beherrschung verloren, war wieder einmal durchgedreht. Wie immer, wenn es darauf ankam. Wie bei Maria damals. Und vorher schon. Er fragte sich, ob Marisa Curzio wußte, wie haarscharf er am Terrorismus vorbeigeschrammt war. Bis zu jenem Abend des 16. März 1978, als er mit den Genossen Molotowcocktails abgefüllt hatte, war er stetig darauf zugeschritten. Dann hatte irgendwer das Radio angeschaltet, und sie vernahmen, daßAldo Moro von der römischen Kolonne der Brigate Rosse entführt worden war. Sie hörten den überschnappenden Reporterstimmen zu, spürten hilflose Wut aus ihnen heraus, und sie waren sich einig, daß Moro ein Schwein war, einer, der tausendfach den Prozeß verdient hatte, in dem ihn die Brigate Rosse im Namen des Proletariats zum Tod verurteilen würden. Auch Vannoni stimmte zu, doch als sie im Fernsehen die Bilder vom Ort des Überfalls in der Via Fani sahen, die Polizeisperren, die von Kugeln durchsiebten Autos, die

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