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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Benito Sgreccia ein.
    »Oder sonst etwas«, sagte Curzio. »Das ist ja bloß ein Beispiel. Ich meine, wer den ganzen Nachmittag hier im Dorf war ...«
    »Und das beweisen kann«, sagte Benito Sgreccia.
    »Willst du es ihm erklären, oder soll ich?« fragte Curzio.
    »Mach nur!« sagte Benito Sgreccia.
    »Wer ein Alibi hat«, sagte Curzio, »der kann natürlich nicht gleichzeitig Giorgio Lucarelli ein paar Stunden lang daran gehindert haben, Hilfe zu holen, als er von der Viper gebissen wurde. Und da dachten wir, wir sollten einfach mal jeden fragen ...«
    »Einen nach dem ...« Der alte Sgreccia verstummte unter Curzios empörtem Seitenblick.
    »... was er denn so gemacht hat. An jenem Nachmittag. So zwischen elf Uhr vormittags und sieben Uhr abends.«
    »Du zum Beispiel«, sagte Benito Sgreccia. Er erstickte den Husten, der sich seine Kehle heraufdrängte, und atmete tief durch.
    Die beiden Alten hatten sich schwergetan, ihr Anliegen vorzubringen, und wie sie jetzt gespannt und ein wenig verlegen auf Vannonis Antwort warteten, wirkten sie ebenfalls nicht gerade wie professionelle Ermittler. Vannoni hätte sie auslachen, ihnen gönnerhaft auf die Schulter klopfen und sie nach Hause schicken können, doch er tat es nicht. Vielleicht spürte er unter ihrer offensichtlichen Hilflosigkeit das andere, Ernste, über das nicht zulächeln war. Den festen Willen, neu zu beginnen, indem man Stein für Stein aus dem Trümmerhaufen hervorzog, in den die Todesfälle die Dorfgemeinschaft verwandelt hatten. Die Entschlossenheit, jeden einzelnen Stein daraufhin abzuklopfen, ob er noch zu verwenden war, und ihn später an der richtigen Stelle wieder einzufügen. Oder aber auszusortieren.
    »Ich habe kein Alibi«, sagte Vannoni.
    »Nein?« fragte Benito Sgreccia.
    »Was hast du denn den ganzen Nachmittag gemacht?« fragte Curzio.
    »Nichts«, sagte Vannoni. »Nichts von Bedeutung. Nichts anderes als die anderen Tage auch, seit ich wieder hier bin.«
    Benito Sgreccia stützte sich auf seinen Stock. Gianmaria Curzio nestelte ein Taschentuch aus seiner Westentasche. Es war weiß, hatte einen blauen Rand, und in einer Ecke waren ebenfalls blau Curzios Initialen eingestickt. GC. Curzio tupfte sich den Schweiß von der Stirn.
    »Also gut, kommt rein!« sagte Vannoni. Er ging voran, durchs Wohnzimmer, betrat den Raum, in dem früher Catias Gitterbett gestanden hatte. Der Boden war mit Holzspänen bedeckt. Rechts an der Wand waren dicke Scheite Brennholz aufgeschichtet. Auf einem Schemel lagen neben einem Hammer ein paar Meißel und Messer in unterschiedlicher Größe. Und darunter, achtlos übereinandergeworfen, zehn, zwölf, fünfzehn handspannenlange hölzerne Eidechsen.
    »Im Gefängnis habe ich sie aus feuchtem Zeitungspapier modelliert«, sagte Vannoni. »Als Häftling bekommst du höchstens ein Plastikmesser in die Hand. Alles andere sei zu gefährlich, sagen sie.«
    »Du hast an jenem Nachmittag Eidechsen geschnitzt?« fragte Curzio.
    »Kein besonders gutes Alibi, nicht?« Vannoni lachte.
    »Wieso gerade Eidechsen?« fragte Curzio.
    Vannoni zuckte die Achseln. »Ich habe auch mal einen Vogel probiert. Der wurde aber nichts. Eidechsen sind einfacher.«
    Als die beiden Alten wieder draußen waren, gingen sie nebeneinander die Gasse zum Balcone hinauf. Sie setzten sich im Schatten der Esche auf die Brüstung.
    »Was hältst du davon?« fragte Curzio.
    »Es war ein erster Schritt«, sagte Benito Sgreccia.
    Curzio nickte.
    »Nein«, sagte Angelo Sgreccia, »sie will nicht mit dir sprechen. Nicht mit dir, und auch mit sonst keinem.«
    »Sie ist meine Tochter«, sagte Matteo Vannoni.
    »So geht das nicht, Matteo«, sagte Angelo Sgreccia. »Du kannst nicht nach fünfzehn Jahren zurückkommen und heile Familie spielen wollen. Für Catia bist du ein Fremder.«
    »Ich will ja nur mit ihr reden, verdammt noch mal.«
    »Soll ich ihr mit Gewalt die Kiefer auseinanderziehen?« fragte Angelo. Er stemmte die Hand gegen den Türpfosten.
    »Sag ihr ...«, sagte Vannoni. Daß es keinen Sinn hatte, sich einzuigeln? Daß die Leute sowieso dachten, was sie wollten?
    »Was?« fragte Angelo.
    »Vergiß es!« sagte Vannoni. Er wandte sich ab und ging langsam die Gasse am östlichen Ortsrand hoch.
    Er verstand Catia ja. Als er jung war, war er selbst nicht viel anders gewesen. Auch er hatte sich von diesem Dorfmief erdrückt gefühlt. Jeder kennt dich von klein auf, jeder glaubt, alles über dich zu wissen, und wenn du dagegen ankämpfst, wenn du darauf

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