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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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an der das Leben nur einmal mit dem Daumennagel kratzen mußte, um die uralten Instinkte und Leidenschaften wie eh und je hervorbrechen zu lassen.
    »Raus!« kreischte Assunta mit sich überschlagender Stimme.
    »Ich werde die Polizei schicken müssen«, sagte der Assessore zu Antonietta, bevor er sich zurückzog. Der Pfarrer war schon durch die Tür verschwunden.
    So unvermittelt der Ausbruch gekommen war, so schnell war er auch vorbei. Assunta sank auf einen Stuhl und schluchzte leise. Antonietta legte den Arm um ihre Schulter. Paolo Garzone zog die beiden verstörten Mädchen an sich.
    Draußen liefen die Dorfbewohner zusammen und sahen zu, wie der blaue Gemeinde-Fiat Montesecco verließ. Es dauerte ein paar Minuten, bis Antonietta vor die Tür trat und die Umstehenden über das Vorgefallene informierte.
    »Wir haben keine Wahl. Auch Carlo hätte nicht gewollt, daß Giorgio und er im Polizeiwagen zum Friedhof gefahren werden«, sagte sie.
    »Wenn es darum geht, Giorgios Tod aufzuklären, ist keiner da, und jetzt wollen sie sofort die Polizei schicken«, murrte Franco Marcantoni.
    »Es hilft nichts. Der Assessore hat recht. Wir können sie nicht länger ...«, sagte Antonietta. Sie brach ab, als Assunta aus der Tür kam. Ihr folgte Paolo Garzone mit den beiden Mädchen an der Hand.
    »Doch, wir können«, sagte der alte Marcantoni. Er blickte von einem zum anderen. »Oder?«
    »Und ob wir können«, sagte Ivan Garzone.
    »Das wäre das erste Mal, daß uns jemand von außen sagt, wie wir unsere Angelegenheiten zu regeln haben«, sagte Gianmaria Curzio. »Erinnert ihr euch, wie die Deutschen im Krieg Montesecco nach Waffen durchsucht haben? Das einzige, was sie gefunden haben, war eine Mistgabel.«
    »Ich stelle meinen Schuppen zur Verfügung«, sagte Franco Marcantoni.
    »Bei mir ist es besser. Unten im Loch, wo wir 43 die Gewehre versteckt hatten«, sagte der alte Curzio. Das Loch war eine unterirdische Kammer, die vielleicht schon im Mittelalter aus dem Tuffstein geschlagen worden war. Eine schwere Falltür in Curzios hangwärts liegendem Vorratsraum versperrte den Zugang. Jeder in Montesecco wußte darüber Bescheid, denn so folgsam war als Kind keiner gewesen, daß ihm nicht irgendwann ein längerer Aufenthalt im Loch angedroht worden war.
    »Ich weiß nicht«, sagte Antonietta. Sie nickte Paolo dankend zu und zog ihre beiden Töchter an sich.
    »Es hat keinen Sinn«, sagte Marta Garzone.
    »Es hat keinen Sinn, sie zu begraben«, sagte Assunta. Sie schlurfte zur Anschlagtafel und fuhr mit der Hand über das Papier der Todesanzeigen, als sei es die Haut ihrer Toten. »Sie werden keine Ruhe finden. So fest könnt ihr die Särge gar nicht zunageln. Jede Nacht werden sie durchs Dorf geistern, und ihr werdet ihre Stimmen durch die Wände wispern hören, ihre Fragen nach dem Mörder von Giorgio und nach dem, der Carlo in den Tod getrieben hat. Solange nicht Gerechtigkeit geschehen ist, werden sie euch wie der Sprovengolo die Luft nehmen, und wenn ihr aus euren Alpträumen erwacht, werdet ihr euch verzweifelt fragen, warum ihr Carlos letzten Wunsch mißachtet habt.«
    »Laß uns nur machen!« sagte Ivan Garzone.
    Marta schüttelte den Kopf und sagte: »Davon werden sie nicht wieder lebendig.«
    Die Alten murrten. Sie wollten sich den Gegner nicht nehmen lassen, der sich gerade erst gefunden hatte: die Polizei, den Staat, die von außen, die ihnen immer schon das Leben schwergemacht hatten. Denen würde man ein Schnippchen schlagen. Sicher, damit war keineswegs geklärt, was mit Giorgio geschehen war und wer die Todesanzeige beschmiert hatte. Noch mußte man auch dem nächsten Nachbarn mißtrauen, aber es half doch, sich gemeinsam gegen einen Gegner zu stellen, der ein Gesichthatte, einen Namen und die Uniform der Carabinieri trug. Das war allemal besser, als gar nichts tun zu können.
    Antonietta sagte nichts. Sie schien weit weg zu sein, versunken in wer weiß welche Gedanken. Assunta entschied die Frage, als sie mit tonloser Stimme sagte: »Wenn ihr sie jetzt begrabt, könnt ihr mich auch gleich dazulegen.«
    Franco Marcantoni trat einen Schritt auf sie zu. Er sagte: »Das Dorf steht hinter euch. Und wenn sie die Polizei ganz Italiens anrücken lassen, sie werden nicht mehr finden als die Deutschen damals.«
    Es war ein Versprechen. Alle nickten feierlich dazu. Nur Marta Garzone warf ein: »Waffen verwesen nicht, Leichen schon.«
    »Sei jetzt still, Marta!« sagte Ivan.
    »Es wird uns schon etwas einfallen«, sagte

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