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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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gleich gedacht. Man mußte ihre Geschwister nur mit der Nase auf die richtige Fährte drücken, und schon schnupperten sie los wie junge Hunde.
    »Das gehört sich nicht«, sagte Lidia.
    »So, als ob jemand sie verstecken wollte?« fragte Franco.
    Costanza schüttelte den Kopf. »Giorgios Wasserflasche stand gut sichtbar daneben. Die hätte dann ja auch beseitigt werden müssen. Und so sah es auch nicht aus.«
    »Wie sah es dann aus?« fragte Franco.
    »Als ob die Schlange gesteinigt worden wäre. Es sah aus, als habe einer in maßlosem Haß Stein um Stein auf sie herabgeschmettert, damit sie tot und unkenntlich und für alle Zeiten vor seinen Augen verborgen wäre.«
    »Giorgio?«
    »Vielleicht.« Costanza hob den Kater auf ihren Schoß und strich über sein schwarzes Fell. »Vielleicht auch nicht.«
    »Steinigen ist furchtbar grausam«, sagte Lidia. »Das tut ein gottloser Mensch dem an, was er am meisten fürchtet. So haben die Heiden zum Beispiel die heilige ...«
    »Keiner mag Vipern«, sagte Franco langsam, »Giorgio mochte sie auch nicht, aber panische Angst hatte er nichtvor ihnen. Ich war mal mit ihm draußen auf dem Feld, da ist uns eine über den Weg gelaufen.«
    »Giorgio war ein gläubiger Mensch«, sagte Lidia. »Und er hatte anderes zu tun. Er mußte schnell den Biß abbinden und ins Krankenhaus gelangen.«
    »Giorgio war vielleicht nicht allein«, sagte Costanza.
    »Du meinst den, der ihn gehindert hat, Hilfe zu suchen?« fragte Franco.
    »Und der ihn tot an der Brücke bei Magnoni abgelegt hat.«
    »Und der panische Angst vor Vipern hat.«
    Costanza gab Nerone einen Klaps. Sie stand auf und trug das Einmachglas mit der Viper in ihren Vorratsraum. Sie stellte es hoch ins Regal neben ein Säckchen Hagebutten und deckte es mit einer Plastiktüte zu.
    »Wir sollten uns mal ein wenig umsehen«, hörte sie ihren Bruder nuscheln, als sie wieder in die Stube trat.
    »Nach einem gottlosen Menschen«, sagte Lidia.

3
    So merke dir: Der allzu starre Sinn
    zerbricht am ehsten, und der stärkste Stahl,
    wenn man ihn überhart im Feuer glühte,
    zersplittert und zerspringt zuallererst.
    Sophokles: Antigone, Verse 473–476

Die nächsten beiden Tage brannte die Luft, und auch am dritten Morgen stand kein Wölkchen am Himmel, als sich die Sonne glühend nach oben schob. Es war zwar Wind aufgekommen, aber ein böiger Südwind, der in unregelmäßigen Stößen über Montesecco hinwegzischte, als käme er aus einem bockigen, heißgelaufenen Fön. Er mochte roten Wüstensand bringen, Heuschreckenschwärme oder sonst eine biblische Plage, aber sicher keinen Regen. Man konnte sich kaum mehr erinnern, wann der letzte Tropfen gefallen war.
    In den Häusern war es nachts genausowenig auszuhalten wie tagsüber, doch das war nicht der Grund, weshalb Paolo Garzone die Nacht in einem Liegestuhl unter freiem Himmel verbracht hatte. Der Liegestuhl stand neben der Anschlagtafel der Gemeinde, auf der zwei Todesanzeigen nebeneinander klebten. Die eine war zu einem Viertel abgeschabt, die abgelösten Enden am ausgefransten unteren Rand flatterten im Wind, und der Text oberhalb davon war mit fetten roten Buchstaben verunstaltet. Das zweite Plakat war dagegen sorgsam geklebt und völlig unversehrt.
    Damit dies so blieb, hatte die Dorfgemeinschaft einen nächtlichen Wachdienst eingerichtet, und Paolo Garzone hatte sich mit der Begründung, daß er der einzige sei, der die Stangen der Anschlagtafel notfalls auch zu Handschellen für einen ertappten Übeltäter biegen könne, gegen den Rest der Freiwilligen durchgesetzt. Der nun männerlose Haushalt der Lucarellis war von Wachaufgaben gänzlich freigestellt worden, doch das Angebot Antoniettas, dem jeweiligen Wachhabenden am Morgen einherzhaftes Frühstück zuzubereiten, hatte zumindest Paolo Garzone dankend angenommen.
    Und so stand der Liegestuhl verlassen da, als ein dunkelblauer Fiat mit der Aufschrift »Comune di Pergola« auf die morgendliche Piazza bog. Ihm entstiegen der Pfarrer und der für die öffentliche Ordnung zuständige Assessore der Gemeinde. Sie warfen einen Blick auf den Liegestuhl, dessen gelb-weißer Leinenstoff in einer Bö aufknatterte, und studierten dann die neuere der beiden Todesanzeigen:
    Im Abstand von wenigen Tagen wurden jäh und allzufrüh aus dem irdischen Leben gerissen Giorgio Lucarelli und Carlo Lucarelli . In untröstlichem Schmerz bleiben zurück Assunta, Antonietta, Sabrina, Sonia und alle Verwandten.
    »Jäh und allzufrüh aus dem Leben gerissen«,

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