Die Vipern von Montesecco
fünf Bahren, auf denen die fünf toten Polizisten der Eskorte unter Planen lagen, da stand er auf und ging.
»Heute keine Aktion«, hatte er den Genossen gesagt.
»Das würde politisch völlig untergehen«, hatte er hinzugefügt und in dem Moment selbst noch nicht gewußt, daß es für ihn vorbei war. Ihm war nur klargeworden, daß ihn die Gewalt anekelte. Erst als er gegen Mitternacht in Montesecco ankam, seinen Fiat 500 auf der menschenleeren Piazza abstellte, über die zwei Laternen mattgelbes Licht streuten, und als zwischen den geduckten Häusern schwarze Nacht hervorquoll und die Zeiger der Uhr auf zwanzig nach acht standen und er nur die Grillen und das Schnarchen des alten Curzio hörte und als er fühlte, daß Rom und die Via Fani Welten und Lichtjahre entfernt waren, erst da begriff er, daß alles sinnlos war, daß sich hier nie etwas ändern würde, auch wenn es unter Blut und Tränen gelänge, das ganze System zu zertrümmern und Stein für Stein eine neue, gerechte, freie Gesellschaft aufzubauen. Hier würden weiter die Grillen zirpen und der alte Curzio schnarchen, die Männer würden an der Brüstung des Balcone sitzen und die Frauen vor der Bar. Keine Macht der Welt, keine Revolution, keine Gewalttat käme dagegen an. Montesecco war stärker.
Vannoni war weder glücklich noch traurig gewesen, es war eben so, eine Art Naturgesetz wie die Schwerkraft. Es nützte nichts, sich darüber aufzuregen. Man konnte sichvom Boden abstoßen und in die Luft springen, aber man fiel unweigerlich wieder zurück. In jener Nacht hatte Matteo Vannoni das begriffen, und er war zu seinem Haus hochgegangen, hatte die Schlafzimmertür geöffnet, das Licht angeschaltet, hatte Lucarellis Hintern durchs Fenster verschwinden sehen. Und dann hatte er seine Frau erschossen. Hatte geschossen und nachgeladen und wieder geschossen.
Die Schüsse hatten Catia geweckt, er hörte sie die ganze Zeit schreien, während er mit der Polizei telefonierte. Als er zu ihr kam, stand sie weinend in ihrem Gitterbettchen. Er nahm sie auf den Arm, trug sie auf und ab und summte ihr Kinderlieder vor, doch sie hörte nicht auf zu weinen. Schon damals hatte er nicht mit ihr umgehen können. Genau wie heute.
Über dem Bareingang befestigte Ivan einen neuen Fliegenvorhang, auf dem eine grellbunte Palme abgebildet war.
»Wie in der Südsee«, stellte er befriedigt fest. »Es fehlen nur noch die Hawai-Mädchen mit Blumengirlanden. Aber ich habe schon eine Idee. Da werden euch die Augen übergehen.«
»Seit wann weißt du, daß Catia schwanger ist?« fragte Vannoni.
»Catia schwanger?« Ivan tat, als fiele er aus allen Wolken.
»Seit wann?«
Ivan holte tief Luft und plapperte los: »Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung. Mir sagt ja keiner etwas. Aber hör zu, Matteo, da hat sich einiges geändert in den letzten Jahren, das ist heutzutage nicht mehr wie früher. Familienehre und der ganze Quatsch. Kein Grund, sich aufzuregen. Freilich, Catia ist noch ein wenig jung, aber sie wird auch älter, und du wirst sehen, wie stolz du dich als Opa fühlen wirst, wenn das Kleine dir erst mal zwischen den Beinen herumkrabbelt und ...«
»Wenn du etwas weißt, was ich wissen sollte, und dusagst es mir nicht ...« Vannoni sprach die Drohung nicht aus.
»Ich? Was soll ich denn wissen?« Ivan war vom Mienenspiel bis zu den erregt gestikulierenden Händen ganz Verzweiflung. »Frag doch deine Schwester! Frag Angelo Sgreccia! Die waren doch für Catia verantwortlich. Wenn die Eltern keine Ahnung haben, wieso soll dann gerade ich etwas wissen?«
Die Eltern. Catias Eltern. Ivan wollte niemanden verletzen, er dachte sich nichts dabei, er redete so daher, und gerade das ging Vannoni durch Mark und Bein. Er mochte der leibliche Vater sein, aber als Catias Eltern galten Elena und Angelo. Und waren sie es nicht auch? Nach fünfzehn Jahren?
Vannoni klopfte sich eine MS aus der Packung und steckte sie an.
»Ehrlich, Matteo«, sagte Ivan. Er verschwand hinter dem neuen Fliegenvorhang.
Vannoni sog an der Zigarette.
Wenn die Eltern keine Ahnung haben, dachte er. Der Satz hallte in seinem Kopf wider, klang ihm fremder und fremder, und langsam drängte sich ein anderes Wort in den Vordergrund. Wenn die Eltern keine Ahnung haben.
Und wenn doch?
Wenn Elena und Angelo schon lange Bescheid wußten?
Wenn sie herausbekommen hatten, wer der Vater von Catias Kind war? Daß sie zum Beispiel von Giorgio Lucarelli geschwängert worden war?
Vannoni fragte sich, wie er an Angelo
Weitere Kostenlose Bücher