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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Marcantoni.
    Ivan drehte das Gesicht in den Wind. Er sog die Luft ein und sagte: »Wüstenwind. Es wird wieder heiß werden. Eine Mordshitze, in der es keiner aushält, weder Lebende noch Tote. Da ist man froh über jede Abkühlung. Über ein kaltes Eis zum Beispiel.«
    Er winkte Sabrina und Sonia zu sich und sagte: »Geht hinauf in die Bar und holt euch ein Crocchino. Oder zwei. Ach was, nehmt euch so viel Eis, wie ihr essen könnt!«
    »Du bist verrückt!« sagte Marta.
    Die beiden Mädchen zögerten.
    »Los, ab mit euch!« rief Ivan. »Und denkt auch an die anderen Kinder! Jeder darf sich bedienen.«
    »Auf einen Schokobecher hätte ich auch Lust«, sagte der alte Sgreccia.
    »Genau. Wieso eigentlich nur die Kinder?« fragte Marcantoni.
    Ivan fuchtelte mit dem Zeigefinger durch die Luft. »Die Kinder sind eingeladen, aber ihr bezahlt! Zumindest den Einkaufspreis.«
    Franco Marcantoni murmelte etwas über den Zusammenhang von Unternehmertum und schlechtem Charakter,und die anderen Alten redeten so lange auf Ivan ein, bis er resignierte. Es gab freies Eis für alle!
    »Ihr seid alle verrückt! Aber ich mache da nicht mit«, rief Marta. Sie ließ sich auch von Antonietta nicht zurückhalten. Die anderen zuckten nur die Achseln, als sie in ihrem Auto wegfuhr. Es gab Wichtigeres zu tun. Es galt Eis zu essen.
    Ivan drehte eine Runde durchs Dorf, um jedem Bescheid zu geben, und eine halbe Stunde später war der Balcone gefüllt wie sonst nur am Samstagabend nach Sonnenuntergang. Wo ein wenig Schatten fiel, saß man in Grüppchen zusammen. Benito Sgreccia und Gianmaria Curzio besetzten die vordere Steinbank. Zwischen ihnen schmolz eine ursprünglich eineinhalb Kilogramm schwere Torta Fragola, der die beiden mit Suppenlöffeln zu Leibe rückten. Lidia Marcantoni kratzte die dickflüssigen Reste einer Coppa Caffè aus einem Pappbecher, den sie dann in die zwei schon geleerten drückte. Marisa Curzio und Milena Angiolini knabberten an Waffeln mit Schoko- und Vanilleeisfüllung und unterhielten sich kichernd darüber, mit welchem Filmschauspieler sie am liebsten ihr nächstes Duetto teilen würden. Costanza Marcantoni hatte sich auf Ghiaccioli spezialisiert, ein in schreienden Farben gehaltenes Wassereis, dessen Form an eine Apollo-Rakete erinnerte, und Paolo Garzone verkündete nach dem Genuß eines Gran Tropical, einer Granita Limone und eines Stecco Vaniglia seine Absicht, das ganze Sortiment durchzuprobieren.
    »Das mußt du auch«, rief Ivan quer über die Piazzetta. »Schlußverkauf! Alles muß raus! Wir brauchen den Platz! Greift zu, so günstig könnt ihr euch nie mehr den Magen vollschlagen!«
    Mit einer Pappschachtel unter dem linken Arm wanderte er von Gruppe zu Gruppe und drückte jedem, der schon mehr als die Hälfte seines Eises gegessen hatte, Nachschub in die Hand. Überwältigt davon, daß sichMontesecco offensichtlich in das Schlaraffenland verwandelt hatte, vergaßen die Kinder, in gewohnter Weise über den Platz zu toben. Die Erwachsenen dagegen tauten den ersten Völlegefühlen und den zunehmend vereisten Magenwänden zum Trotz immer mehr auf. Die Stimmung wurde geradezu ausgelassen, als sich Angelo Sgreccia und Paolo Garzone auf ein Wettessen einließen. Franco Marcantoni gab den Schiedsrichter, und unter Anfeuerungsrufen und spöttischen Kommentaren schlangen die beiden je eine Coppa Cacao hinunter. Selbst Antonietta mußte lächeln, als Paolo Garzone mit vollgestopftem Mund und rollenden Augen als erster aufsprang und die Arme in Siegerpose nach oben reckte.
    »Übertreibe es nicht, Paolo!« sagte Antonietta.
    Paolo schluckte, wischte sich über den Mund und sagte: »Das Zeug muß weg. Es soll doch nicht verderben, oder?«
    » Du wirst dir den Magen verderben.«
    Paolo zuckte die Achseln. »Man läßt nichts verkommen. So bin ich erzogen worden.«
    »Nicht nur du«, sagte Antonietta.
    »Und so würde ich auch meine Kinder erziehen, wenn ich welche hätte«, sagte Paolo. Er riß das Papier von einem Crocchino. Die Schokoladenglasur war mit Mandelsplittern übersät. Paolo bot Antonietta das Eis an.
    »Jetzt nicht«, sagte sie.
    »Das Leben geht weiter«, sagte Paolo. Er biß in das Eis. Die Glasur splitterte unter seinen Zähnen und warf Schollen, in deren Brüchen weißes Vanilleeis aufschien. Der hellrote Amarenakern, den es umschloß, war noch nicht zu sehen.
    »Mach langsam!« sagte Antonietta. Paolo nickte. Er zerknüllte das Papier des Crocchino zwischen den Fingern, ging zum Eingang der Bar und

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