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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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sind.«
    Ivans Grinsen verging. Er konnte nicht klein beigeben, das war klar. Man erwartete von ihm Durchhaltevermögen und Stärke. Auch wenn man ihn einsperrte. Natürlich wäre das eine Katastrophe. Gerade jetzt im Sommer schaffte Marta die Arbeit in der Bar nicht alleine. Und die Kinder brauchten ihren Vater. Ivan hatte das ganze Dorf auf eigene Kosten mit Eis versorgt, er hatte seine Kühltruhe zur Verfügung gestellt. Er hatte mehr getan als alle anderen. Er war kein Held. Wie kamen die eigentlich auf die wahnwitzige Idee, daß er stoisch und unbeirrbar in der Reihe bleiben würde? War er etwa Mahatma Gandhi? Und würden sie etwa nicht lachend auf dem Balcone sitzen und seinen Wein trinken, während er im Knast steckte?
    »Also?« fragte der Brigadiere.
    Ivan schnaufte. Er kämpfte mit sich. Wieso gerade er? Wieso sollte er sich einsperren lassen, nur weil der alte Lucarelli einen unsinnigen Schwur abgelegt hatte? Was änderte es schon, ob man zwei Leichen beerdigte oder nicht? Und wieso sollte er den Zugang zu einem Haus blockieren, in dem sich diese Leichen nicht einmal befanden? Es war vollkommen idiotisch, aber er, Ivan, war kein Idiot. Er würde einfach einen Schritt zur Seite tun.
    »Zum letztenmal«, sagte der Brigadiere. »Sie gehen jetzt aus dem Weg, und wir holen die Leichen da heraus.«
    Ivan antwortete nicht. Er rührte sich nicht. Er blieb stehen. Er war aus Granit. Ihm würde ein Gedenkstein auf der Piazzetta errichtet werden. Er würde in die Geschichtsbücher eingehen. Er war eins mit dem Universum. Er war der Mahatma Gandhi von Montesecco. Er lächelte.
    »Die Leichen?« fragte Marisa Curzio den Bigadiere. »Ihr wollt die Leichen herausholen? Hat euch denn niemand angerufen?«
    »Angerufen?« fragte der Brigadiere.
    »Das hättest du doch machen sollen!« sagte Elena Sgreccia.
    »Ich? Nein! Wie kommst du darauf?« sagte Marisa Curzio.
    »Doch, sicher«, sagte Elena Sgreccia.
    »Was soll das?« fragte der Brigadiere.
    »Na, die Leichen sind doch geklaut worden«, sagte Marisa Curzio.
    »Plötzlich waren sie weg«, sagte Milena Angiolini und schlug die Augen nieder.
    »Eine gottlose Ungeheuerlichkeit!« entrüstete sich Lidia Marcantoni.
    »Geklaut?« Der Brigadiere brauchte ein wenig, um die Information zu verarbeiten.
    »Gestern vormittag. Vorher habe ich ein paar fremde Männer im Dorf gesehen. Einer sah dem da ähnlich.« Milena Angiolini zeigte auf den dritten Polizisten.
    »Ich warne euch«, sagte der Brigadiere.
    »Ganz sicher bin ich mir nicht.« Milena Angiolini setzte ein scheues Lächeln auf.
    »Vielleicht solltet ihr den Tatbestand aufnehmen«, schlug Marisa Curzio vor. »Ich bin sicher, daß alle hier gern ihre Aussagen zu Protokoll ...«
    »Wie ihr wollt«, sagte der Brigadiere. Er strich sich die Uniform glatt. »Irgendwer hat also zwei Leichen gestohlen. Gut. Besser gesagt: nicht gut. Ein Verbrechen. Und wir gehen jetzt dahinein, sehen uns den Tatort an, suchennach Spuren, Fingerabdrücken und so weiter et cetera p.p.«
    Marisa Curzio überlegte, trat dann aus der Reihe und sagte: »Na gut.«
    »Tut eure Arbeit!« sagte Elena Sgreccia.
    »Zeit wird es«, sagte der alte Curzio.
    Die Mauer der Dorfbewohner zerbröckelte. Einzig Ivan Garzone stand da, als wäre er an seinem Schatten festgewachsen. Er lächelte selig. Der Brigadiere ging um ihn herum und verschwand im Haus der Lucarellis. Die beiden anderen Uniformierten folgten ihm.
    Ein paar der Frauen setzten sich auf das Mäuerchen in den Schatten der Pinien, doch der Rest blieb stehen. Sehr viele Möglichkeiten, zwei Leichen zu verstecken, gab es im Haus der Lucarellis nicht. Es dauerte gerade mal zehn Minuten, bis die Carabinieri alles durchsucht hatten.
    Hinter den finster blickenden Polizisten tauchte Assunta Lucarelli auf. Ihre schlohweißen Haare hingen wirr unter dem schwarzen Kopftuch hervor. Das Gesicht war eingefallen, die Falten wirkten jeden Tag tiefer. Assuntas Blick wanderte über die Grüppchen auf der Piazza, doch es gab keinerlei Anzeichen, daß sie auch nur einen ihrer Nachbarn erkannte.
    »Und? Spuren gesichert?« fragte Franco Marcantoni.
    Der Brigadiere würdigte ihn keiner Antwort. Er wischte sich über die Stirn.
    »Wenn wir das ganze Dorf durchsuchen wollen, brauchen wir Verstärkung«, sagte einer der Carabinieri.
    »Und Durchsuchungsbefehle«, nuschelte der alte Marcantoni. Er umklammerte den Gewehrlauf. »Ohne Durchsuchungsbefehl kommt ihr nicht über meine Schwelle!«
    »Habt ihr die Kruzifixe gesehen?

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