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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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in die Augen zu sehen. Sie hatte oft genugzu ihr aufgeschaut. Voller Glauben und Vertrauen. Doch jetzt hatte auch Assunta ihren einzigen Sohn verloren. Sie krallte die Nägel in den Eiskarton und riß ihn auf.
    »Meinen Sohn und meinen Mann«, sagte sie. Ihre Stimme zitterte. Es war nicht gerecht. Es war alles andere als gnädig.
    »Du Schmerzensreiche«, sagte sie. Es klang bitter. Die da oben blieb stumm.
    In dem Eiskarton stapelten sich Crocchino-Eistüten. Assunta nahm eine heraus. Kleine Wassertropfen perlten auf dem bunten Glanzpapier. Assunta zerfetzte es und biß durch die schwarze Glasur. Süße Kälte stach in ihre Zahnwurzeln. Weißes Fleisch. Und der Kern des Crocchino war geronnenes Blut.
    Wer, wenn nicht sie, Assunta Lucarelli, hatte das Recht auf ein Wunder? Sie würde gefrorenes Blut zerbeißen und schlucken und fühlen, wie der Schmerz alle Wärme in ihrem Inneren abtötete. Man würde schon sehen, wer es länger aushielte. Assunta oder die da oben. Assunta biß und schluckte. Sie zerbrach den Stiel des Eises und ließ die Stücke auf die Steinplatten fallen. Dann riß sie das Papier vom nächsten Crocchino.
    »Gib mir mein Wunder!« schrie sie die da oben an. Sie schlug die Zähne in den kalten Tod.
    »Assunta!« rief eine Stimme vom Kircheneingang her.
    »Laßt sie!« sagte eine andere Stimme.
    Assunta stöhnte wie ein wildes Tier.
    Sie hatten Assunta gesehen. Sie alle hörten sie kreischen. Wenn man sie mit Gewalt aus der Kirche herauszöge, würde sie sterben. Mit jeder Faser ihres Körpers würde sie »nein« brüllen und einfach tot umfallen. Nur ein Wunder konnte sie retten. Das Wunder.
    Die Polizisten waren noch in der Bar, doch sicher hatten sie die beiden Toten schon gefunden. Es blieb keine Zeit, irgendwelche Pläne auszuklügeln. Der alte Marcantonisetzte sich auf die Steinbank unter der Esche. Er lud sein Gewehr durch und richtete den Lauf auf den Eingang der Bar.
    »Macht schon!« sagte er. Fünf, sechs andere stoben davon. Der Eismann sagte »ähm«, sprang in seinen Lieferwagen und fuhr im Rückwärtsgang los.
    »Und du, geh zur Seite!« sagte Franco Marcantoni zu Marta Garzone, die vor der Eistafel neben der Tür stand und Paty an sich preßte.
    »Hört auf!« sagte Marta.
    »Wir reden später«, sagte Marcantoni.
    »Ich habe doch nur ...«, sagte Marta.
    »Geh aus dem Weg!« sagte Marcantoni.
    »Ich wollte es nicht verraten, wirklich nicht«, sagte Marta. Sie wich zurück.
    Paolo Garzone öffnete die Fahrertür des Streifenwagens. Der Zündschlüssel steckte nicht.
    »Ich habe falsch reagiert«, sagte Marta. »Es tut mir leid.«
    Paolo nahm das Sprechteil des Funkgeräts aus der Halterung, wickelte das Kabel einmal ums Handgelenk und riß es heraus.
    »Es ist nur ...«, sagte Marta. »Die beiden Toten da, zwei Schritte von der Theke weg, und die Kinder spielen davor auf dem Boden, und die verdammte Truhe summt den ganzen Tag vor sich hin ...«
    Paolo schleuderte das Mikrofon des Funkgeräts über die Brüstung des Balcone. Dann bückte er sich und packte mit beiden Pranken am Rahmen unterhalb der Fahrertür an.
    Angelo Sgreccia war als erster wieder da. Noch im Laufen lud er sein Jagdgewehr.
    »Die Truhe summt anders als sonst, ich schwöre es euch«, sagte Marta. »Sie summt böse und krank. Ich hatte Angst, daß sie explodieren könnte. Daß sie einfach platzen würde und zerrissene, gefrorene Teile von ...«
    Paolo hob an. Sein Gesicht verzerrte sich unter der Anstrengung,er zog, riß, stemmte, schob. Einer der Carabinieri trat gerade rechtzeitig aus der Bar, um zu beobachten, wie der Polizeiwagen einen Moment im 60-Grad-Winkel balancierte, bevor er schwer auf die Beifahrerseite niederkrachte. Der Außenspiegel zersplitterte, die Scheiben zerklirrten. Dem Polizisten fiel der Unterkiefer herab.
    »Ihr seid ja alle total durchgeknallt!« brüllte er, tat zwei schnelle Schritte nach vorn, überlegte es sich anders, hob abwehrend die Hände und zog sich, langsam rückwärts gehend, in die Bar zurück.
    »Ja, es stimmt, ich wollte, daß sie die Toten finden«, sagte Marta leise. »Ich habe mich nicht getraut, das Versteck zu verraten, aber ich war froh, als der Brigadiere alles kapiert hatte. Erleichtert war ich. Wegen der Kinder. Und wegen mir. Ich habe es einfach nicht ausgehalten. Die Leichen mußten weg. Egal, wohin. Egal, wie.«
    Paolo wischte die abgesprengte Kirchentür zur Seite, griff sich den Wagenheber und stellte sich neben den alten Curzio, der gerade seine Vogelflinte in

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