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Die Vipern von Montesecco

Die Vipern von Montesecco

Titel: Die Vipern von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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zerläuft!«
    Ivan war nirgends zu sehen. Marta rührte sich nicht vom Fleck. Sie schien zu überlegen. Mit einem schnellen Seitenblick auf den Brigadiere sagte sie: »Wir haben nichts bestellt.«
    »Freilich. Ihr habt doch vorgestern angerufen«, sagte der Eismann. Er kramte eine Rechnung aus der Hosentasche. »Zwei Kartons Crocchino, je einmal Torta Fragola, Torta Fantasia ...«
    »Wir können nichts brauchen. Die Truhe ist defekt«, sagte Marta. Sie drückte Paty an sich, als wolle ihr jemand das Kind wegnehmen.
    Einer der beiden Polizisten hatte den Wagenheber aus dem Streifenwagen hergeschleppt. Er setzte ihn im Spalt über der steinernen Schwelle an. Der andere begann zu hebeln. Die Kirchentür ächzte, Holz knirschte.
    »Bestellt ist bestellt«, sagte der Eismann. »Warum habt ihr denn nicht angerufen?«
    »Ich ... ich hatte anderes im Kopf«, sagte Marta.
    »Soll ich mir die Truhe mal ansehen?« fragte der Eismann.
    »Nein«, sagte Marta schnell. Zu schnell. Sie fuhr sich mit der freien Hand durchs Haar. »Es ist ..., wir hatten schon jemanden da. Es ist das Aggregat. Wir haben ein neues bestellt. In drei Tagen wird es geliefert. Oder höchstens in vier.«
    »Na gut«, sagte der Eismann, »aber ich muß euch die Anfahrt in Rechnung stellen. Unterschreib mir ...«
    Mit einem dumpfen Knall riß das Schloß der Kirchentür aus seiner Verankerung, Holz splitterte, der junge Polizist hebelte automatisch noch einmal, zweimal, merkte erst am Aufschrei des anderen, daß sich der rechte Flügel der Tür aus den Angeln hob, nach vorn neigte, kippte, und der Polizist warf sich zur Seite, rollte sich ab, und die Tür stürzte und krachte auf den Wagenheber herab. Staub flimmerte im Sonnenlicht. Der junge Carabiniere richtete sich fluchend auf und klopfte an seiner schwarzen Uniform herum.
    Die Kirchentür stand offen. Ein dunkles Loch. Lidia Marcantoni schlug drei schnelle Kreuzzeichen.
    »Wir können, Chef«, sagte der zweite Carabiniere.
    »Moment«, sagte der Brigadiere. Er erhob sich. »Eine Hitze ist das heute, und die Luft steht. Der Verwesungsgeruch müßte doch ...«
    »Kommt her!« befahl er seinen Leuten. Mit einer schnellen Handbewegung winkte er auch den Fahrer des Streifenwagens zu sich heran. Der Brigadiere ließ seine Finger über die Schnüre des Fliegenvorhangs gleiten. Eine Welle lief durch die darauf abgebildete Südseepalme.
    »Es sei denn ... Und zufälligerweise geht gerade jetzt das Aggregat der Eistruhe kaputt, so daß sie nichts einlagern können. Sagt sie.« Der Brigadiere deutete auf Marta. Marta kniff die Lippen zusammen. Ihre linke Hand strich über Patys Haar. Der Brigadiere sagte: »Ich würde wetten, daß die Eistruhe funktioniert und bis oben hin voll ist. Sie haben die beiden Leichen tiefgekühlt.«
    »Nein!« Marta schüttelte den Kopf und stellte sich in die Tür. Der Brigadiere grinste. Auch er strich Paty übers Haar. Paty vergrub ihr Gesicht an der Schulter ihrer Mutter und begann zu weinen.
    »Finger weg!« zischte Marta, doch sie trat zur Seite. An der Spitze seiner Leute verschwand der Brigadiere im Halbdunkel der Bar.
    Auf der Piazzetta war es totenstill. Eine Eidechse huschte über den Stein der Balkonbrüstung. Die Stoppelfelder glühten in der Sonne. Über den Hügeln von San Vito zogen zwei Düsenjäger weiße Streifen in den wolkenlosen Himmel.
    Jetzt konnte nur noch ein Wunder helfen. Assuntas Blick fiel auf die schwarze Öffnung im Kirchenportal. Und wenn sie alle zu sehr gesündigt hatten? Wenn ihr Maß an Leid und Verzweiflung noch nicht voll war? Assunta zerriß den Gedanken und verwarf die Fetzen. Nein, ein Wunder mußte her! Jetzt. Sofort.
    »Heilige Maria Muttergottes«, murmelte sie. Sie trippelte zum Heck des Lieferwagens, bückte sich mühsam und hob mit ihren knochigen Händen einen der beiden Eiskartons vom Boden auf. Sie nahm ihn auf ihren Arm und dachte an das Kind, das sie vor vierzig Jahren gewiegt hatte.
    »He!« rief der Eismann hinter Assunta her, als sie vorsichtig über den abgesprengten Türflügel stieg und die Kirche betrat. Auf ihrem Weg zum Altar summte sie die Melodie von »Salve, madre dell’amore«. Unter dem Madonnenbild in der Apsis stellte sie den Eiskarton ab. Der Heiligenschein der Jungfrau leuchtete. Dennoch suchte Assunta in den Taschen ihres Kleides nach Zündhölzern. Vergeblich. Dann eben keine Kerzen.
    Der Blick der Muttergottes ging hoch über sie hinweg, betrachtete die Orgelpfeifen auf der Chorempore. Assunta brauchte ihr nicht

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