Die Virus-Waffe
der Sicherheitsleine fest, trat
aus seiner Schlinge und beugte sich über die schwarz ge-
kleidete Gestalt, die mit dem Gesicht nach unten auf dem
Boden lag.
O’Reilly und der andere Mann drehten den Leichnam
herum. Eine Sekunde starrten die beiden in die blutige und
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unkenntliche Masse, die einmal ein menschliches Gesicht
gewesen war. Dann bückte sich O’Reilly und zog dem
Mann die Kapuze herunter. Er tastete nach dem Puls am
Hals, vergeblich.
Der andere Soldat sagte etwas, aber O’Reilly konnte ihn
in dem Lärm der Rotoren und Triebwerke nicht verstehen.
Er setzte sich das Headset auf, und der Lärm sank sofort
auf ein erträglicheres Maß herab. »Was?«
»Wer ist das?«, wiederholte der Mann seine Frage.
O’Reilly blickte auf die Leiche auf dem Boden.
»Keine Ahnung«, gab er zu. Crane war es nicht, denn
der Tauchoffizier des Schiffs war erheblich größer als die-
ser Mann, und Richter hatte hellblondes Haar. Die Leiche
zu O’Reillys Füßen war eher zierlich und hatte hellbraunes
Haar. Als O’Reilly sie genauer betrachtete, fiel ihm noch
etwas auf. Der Mann war umgebracht worden, und zwar
mit einem Kopfschuss. »Ich weiß es nicht«, wiederholte
O’Reilly. »Aber es ist weder Crane noch Richter. Wo zum
Teufel stecken die beiden?«
Noch während er das sagte, hörte er die Stimme des Pi-
loten in seinem Kopfhörer. »Ich sehe zwei Personen im
Wasser, links auf acht Uhr, Entfernung fünfzig Meter.«
Der Merlin drehte nach backbord ab. Wenige Sekunden
später schwebte er wieder dicht über der Wasseroberflä-
che, und der Chefbeobachter sah Richter und Crane, die
direkt unter ihm schwammen. Vier Minuten später stan-
den die beiden Männer in der Kabine des Hubschraubers
und starrten auf die Leiche des unbekannten Tauchers.
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Central Intelligence Agency,
Hauptquartier,Langley, Virginia
John Westwood blickte zufrieden auf seinen Computer-
schirm, während ihn ein Déjà-vu-Gefühl durchströmte.
Allmählich setzten sich die Teile des Puzzles zusammen.
Seine Suche in der Datenbank hatte zwar nicht viel erge-
ben, aber jetzt konnte er Walter Hicks endlich etwas Kon-
kretes präsentieren.
Der Eintrag auf dem Bildschirm war nur kurz. Der Na-
me der Datei lautete »CAIP«, derselbe wie bei seiner frühe-
ren Suche nach Einzelheiten des Learjet-Absturzes. Die
Datei war am 3. Juli 1971 eingerichtet worden, und die
Namen der sechs ranghohen Agenten der Firma, die für
diese Operation die Verantwortung getragen hatten, laute-
ten Henry Butcher, George Cassells, Charles Hawkins,
William Penn, James Richards und Roger Stanford. Ein-
zelheiten der Operation wurden nicht aufgeführt, nicht
einmal der Ort, an dem sie durchgeführt wurde. Allerdings
konnte sich Westwood aufgrund einer anderen Informati-
on denken, wo sie stattgefunden hatte. Als er den Datei-
namen gesehen hatte, ahnte er, wie der letzte Teil des Ein-
trags aussehen würde. Der letzte Satz lautete: »Kreuzver-
weis: N17677. Zugang verweigert. Datei gesperrt am 2. Juli
1972.« Die Sicherheitsklassifizierung lautete »Ultra«.
Also hatte die CIA Mitte 1971 eine ultrageheime Opera-
tion durchgeführt, vermutlich irgendwo im östlichen Mit-
telmeer. Ob sie gelungen oder gescheitert war, wusste
Westwood nicht, aber was er bisher herausgefunden hatte,
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war schon faszinierend genug. Beinahe ein Jahr nach dem
Start von CAIP – und einen Monat, nachdem ein Learjet
des Außenministeriums mit dem Kennzeichen N17677 auf
den Boden des Mittelmeeres gesunken war, weitab von der
Gegend, in der man anschließend nach ihm gesucht hatte
– waren die Operationsdatei gesperrt und alle Einzelheiten
aus der Datenbank gelöscht worden.
Westwood starrte ein paar Minuten auf den Bildschirm
vor sich. Man konnte auch eine gesperrte Datei wieder
freigeben. Man benötigte nur das Einverständnis des Agen-
ten, der sie geschlossen hatte, beziehungsweise die Zu-
stimmung eines höheren Agenten derselben Abteilung
oder eines der leitenden Direktoren der Firma, einem »Su-
pergrade«, die alle diesen Sperrbefehl aufheben konnten.
Das mochte zwar eine Weile dauern, vor allem bei einer
alten, großen oder komplexen Datei, weil diese zuerst von
einigen leitenden Angestellten überprüft werden musste.
Sie würden dann entscheiden, ob die Freigabe angebracht
war. Aber möglich war das durchaus.
Westwood kannte die genaue Prozedur bei solchen Fäl-
len zwar nicht, doch das würde er schnell
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