Die Virus-Waffe
Mur-
phys Standort aus war nicht einzusehen, was der Ameri-
kaner da umlud.
Der schwarze Koffer war noch da, wo Krywald ihn hin-
gelegt hatte. Stein packte vorsichtig den Griff, hob den
Koffer an und setzte ihn in einen schwarzen Müllbeutel,
den er anschließend rasch zuband und in einen zweiten
Beutel steckte. Nachdem er letzteren ebenfalls fest ver-
schnürt hatte, trug er ihn zu dem Seat, legte ihn in den
Kofferraum und knallte die Klappe zu. Danach nahm er
Krywalds Aktentasche und seinen Reisekoffer aus dem
Wagen, ließ sein blutverschmiertes Jackett darin liegen,
schloss den Deckel ab, und entsorgte auch seine Hand-
schuhe. Er würde den Koffer nicht mehr anfassen, ja nicht
mal die Klappe des Seat öffnen, bis er in die Maschine
stieg, mit der McCready ihn von Kreta abholen ließ.
In seinem Hotelzimmer legte Stein Krywalds Aktenta-
sche auf den Tisch und öffnete sie. Er erstarrte und wich
dann etliche Schritte zurück. Die CAIP-Akte, die Stein auf
Krywalds Drängen unbedingt lesen sollte, lag direkt auf
dem Notebook. Offenbar hatte Krywald sie aus dem Koffer
genommen, damit er sie sofort zur Hand hatte, falls er sie
brauchte. Neben dem Computer lag eine kleine Edelstahl-
flasche, die luftdicht versiegelt war und ein verblichenes
Etikett auf der Seite trug.
Stein starrte fast eine Minute in den Aktenkoffer, wäh-
rend er über Krywalds Bemerkungen nachdachte. Angeb-
lich war Staub auf dem Aktendeckel gewesen, und sein
Partner hatte ihn weggeblasen oder -gefegt. Deshalb lag er
505
jetzt auch auf der Intensivstation des Krankenhauses in
Chaniá. Vielleicht lauerte ja noch etwas von dem Zeug auf
oder in dem Aktenordner oder sonstwo in Krywalds Ak-
tenkoffer. Stein musste die Akte jedoch herausnehmen,
wenn er an das Notebook wollte.
Er trat ein paar Schritte zurück und ließ sich auf das
Bett sinken. Dann fiel ihm etwas ein, was er fast vergessen
hätte. Als Krywald und er die beiden Häuser in Kandíra
betreten hatten, musste wenigstens das erste mit Viren ver-
seucht gewesen sein. Trotzdem hatten weder Krywald
noch er sich angesteckt. Stein kam zu demselben Schluss
wie Hardin, dass der Grund, weshalb sie sich nicht infiziert hatten, die Handschuhe und Gesichtsmasken gewesen waren, die sie getragen hatten. Offenbar konnten diese Erre-
ger, worum auch immer es sich handeln mochte, weder
Zellstoff noch Gummi durchdringen.
Steins Schlussfolgerung war zwar nicht vollkommen
korrekt, denn wenn die Viren aktiv waren, konnten sie
sehr leicht das eher grobe Material einer Gesichtsmaske
penetrieren, aber das spielte keine Rolle. Denn die Maske
und Handschuhe verhinderten, dass die Sporen mit den
Schleimhäuten von Nase und Mund in Verbindung ka-
men. Das einzige Risiko blieben die Augen.
Stein stand auf und durchwühlte seinen Koffer, bis er
eine Maske und Latexhandschuhe fand. Extrem langsam,
um nichts aufzuwirbeln, klappte er den Deckel des Akten-
koffers zu und trug ihn nach nebenan in Krywalds Zim-
mer, legte ihn auf das Bett und öffnete ihn, wobei er um
ihn herumgriff und den Deckel von der anderen Seite an-
hob. Dann griff er darüber hinweg, hob mit beiden Hän-
506
den vorsichtig die Akte heraus und legte sie neben den
Koffer. Er wiederholte die Prozedur bei dem Notebook
und dem Netzadapter, nahm dann das Handykabel heraus,
das Handy selbst und zum Schluss die vakuumversiegelte
Flasche. Dann schloss er den Aktenkoffer und legte ihn auf
den Kleiderschrank in der Ecke des Zimmers. Er würde
ihn nicht mehr anfassen. Sollte ein griechisches Zimmer-
mädchen ihn finden und mitnehmen, ging das Stein nichts
an. Er besaß einen fast identischen Aktenkoffer, und er
würde die Sachen anschließend mit in sein Zimmer neh-
men und sie darin deponieren.
Das Wichtigste war jetzt das Notebook. Stein begab sich
ins Bad, schnappte sich ein paar kleine Handtücher und
ging zum Bett zurück. Er säuberte den Computer sorgfäl-
tig, wobei er mit dem Handtuch immer von seinem Kör-
per weg wischte, öffnete das Notebook und reinigte Bild-
schirm und Tastatur. Anschließend stellte er das Gerät zur
Seite und wischte den Netzadapter, die Kabel, das Handy
und die Stahlflasche ebenso sorgfältig ab.
Der Aktenordner war etwas schwieriger zu säubern,
aber Stein versuchte es, so gut es ging. Er wischte vorsich-
tig über den Deckel, bevor er ihn aufschlug. Auf den Seiten
konnte er keine Spuren des Pulvers entdecken, von dem
Krywald gesprochen hatte.
Weitere Kostenlose Bücher