Die Virus-Waffe
Gutdünken gebilligt.«
»Okay«, murmelte Murphy, und klappte lächelnd das
Notebook zu. »Showtime.«
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Chaniá, Kreta
Richters Handy klingelte, als er das Krankenhaus gerade
verließ. »Hallo?«
»Hier spricht Micky Maus«, ertönte eine ruhige, kulti-
vierte Stimme in seinem Ohr. Richter erkannte sofort den
ersten Teil der Parole, die er Simpson übermittelt hatte.
»Sommergewitter«, gab Richter die korrekte Ergänzung
zur Antwort.
»Charles Ross. Ich bin Ihr freundlicher lokaler Reprä-
sentant. Wie können wir Ihnen helfen?«
»Paul Richter. Was für eine Leitung benutzen Sie gera-
de?« Richter trat vom Bürgersteig auf die Straße, damit
kein zufälliger Passant mithören konnte.
»Leider nur ein normales Handy«, antwortete Ross.
»Unser Gerätepark ist recht überschaubar, wenn Sie ver-
stehen, was ich meine.«
Das war zwar eine kleine Unbequemlichkeit, aber nicht
weiter von Bedeutung. Verschlüsselte Telefone funktionier-
ten nur, wenn beide Teilnehmer eines verwendeten. Da
Ross nur ein gewöhnliches GSM-Handy benutzte, musste
Richter sich genau überlegen, was er sagte und wie er es
formulierte.
»Erstens muss ich zwei Amerikaner aufspüren, die sich
auf der Insel aufhalten. Sie heißen Roger Curtis und Ri-
chard Watson. Sie halten sich vermutlich seit etwa einer
Woche hier auf.«
»Hotel oder Ferienwohnung?«
»Wahrscheinlich Hotel«, antwortete Richter. »Sie haben
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auch einen Wagen gemietet, vielleicht sogar ein Boot. Sie
wollten tauchen.«
»Ein eher explosiver Tauchgang?« Offenbar war Ross
vom SIS in London gut instruiert worden, oder sogar von
Simpson selbst.
»Ganz recht. Ich habe gehört, dass Curtis in Chaniá im
Krankenhaus liegt. Er dürfte so schnell nicht entlassen
werden, vielleicht sogar nie mehr, also muss ich unbedingt
diesen Watson ausfindig machen.«
»Okay«, erwiderte Ross gedehnt. »Ich setze meine Leute
darauf an. Noch etwas?«
»Ja. Sobald Sie Watson lokalisiert haben, müssen wir
uns treffen, um ihm gemeinsam einen Besuch abzustatten.
Ich möchte unbedingt mit ihm plaudern.«
Réthymnon, Kreta
Richard Stein hatte während seiner Karriere einen Haufen
vertraulicher Einsatzakten gelesen, aber diese CAIP-
Operation war selbst für ihn etwas Neues.
Ihn beunruhigte jedoch nicht der Inhalt des Ordners,
den er größtenteils sowieso nicht verstand. Die sorgfältig
aufgeführten medizinischen Prozeduren und Impfungen
und die Reaktionen der Patienten darauf wirkten beruhi-
gend harmlos.
Aber am Ende des Ordners befand sich ein »Einsatz-
überblick« über CAIP, der etwa neun Monate vor dem an-
deren Material in diesem Ordner verfasst worden war.
Diese sechsseitige Zusammenfassung erklärte bis ins Letz-
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te, worum es bei CAIP ging und was es bewirken sollte.
Diesen Überblick hatte Krywald gelesen, und als Stein die
letzte Seite umblätterte, wusste er, was sein Partner ge-
meint hatte. Krywald hatte nicht übertrieben. Sollte je-
mand außerhalb der Central Intelligence Agency heraus-
finden, worum es bei CAIP ging, konnte sich Stein lebhaft
die Reaktion der Öffentlichkeit vorstellen. Sie würde eine
Schließung der Firma erzwingen. Die Tatsache, dass CAIP
vor dreißig Jahren durchgeführt worden war, änderte da-
ran überhaupt nichts. Selbst wenn CAIP in hundert Jahren
veröffentlicht würde, wäre das Ergebnis das Gleiche.
Beinahe automatisch zog Stein ein Taschenmesser he-
raus und schnitt die durchsichtigen Hüllen auf, in denen
sich die Zusammenfassung befand. Diese sechs Seiten wa-
ren Dynamit, und er überlegte, ob er sie irgendwie benut-
zen konnte, um sich seine Sicherheit und seine Freiheit zu
erkaufen. Er faltete sie zweimal und schob sie dann tief in
das hinterste Dokumentenfach seines Aktenkoffers.
Der gesamte Ablauf von CAIP war denkbar einfach ge-
wesen. Er verdiente nicht einmal den Namen »Operation«.
Es gab keine Feinde, keinen Widerstand und keinerlei Ge-
fahr, jedenfalls im konventionellen Sinn. Aber die Verlust-
quote las sich sehr beeindruckend – oder sehr bestürzend,
je nach Standpunkt des Lesers.
Jetzt verstand Stein auch, warum McCready so darauf
gedrängt hatte, sämtliche Reste des Flugzeuges zu beseiti-
gen, und warum die Beschaffung des Koffers mit der Akte
und den restlichen Flaschen höchste Priorität gehabt hatte.
Außerdem begriff er, dass McCready aus zwei Gründen
darauf bestanden hatte, dass der Koffer ihm ungeöffnet
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übergeben werden
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