Die Virus-Waffe
Kreta
Murphy hatte seine Hotelrechnung im Voraus bezahlt. Be-
gründet hatte er das damit, dass er am nächsten Morgen in
aller Frühe aufbrechen musste. Um zehn vor sieben saß er
bereits in seinem Peugeot. Sein Gepäck war im Kofferraum
verstaut. In der Nacht hatte er einen Parkplatz mit unge-
hindertem Blick auf die Rückseite der beiden Hotels ge-
funden. Von dort würde er Stein sehen, sobald der sein
Hotel verließ und zum Parkplatz ging.
Den Seat sah er nicht, weil er von einem Renault Espace
und einem Volkswagen-Transporter verdeckt wurde, aber
das war Murphy weniger wichtig, als die Hoteleingänge im
Auge zu behalten. Wenn Stein auftauchte, wollte Murphy
ihm folgen, ihn irgendwo an einer abgeschiedenen Stelle
erledigen, den Koffer und die Akte kassieren und dann
schleunigst die Insel verlassen.
Es war noch kühl um diese frühe Uhrzeit, und Murphy
ließ den Motor laufen, bis die Heizung funktionierte.
Dann stellte er ihn wieder ab und richtete sich auf eine
längere Wartezeit ein.
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HMS Invincible, Kretisches Meer
Es war beeindruckend, wie viele Überwasserkontakte das
Radar selbst um diese frühe Uhrzeit vor der Westküste von
Kreta meldete. Dem Surface Picture Compiler war klar,
dass es sich bei den meisten um Fischerboote, Fähren,
Jachten, Motorboote, Wasserskiboote und einen Haufen
anderer Vergnügungskähne handelte, die bereits früh auf
die blauen, spiegelnden Fluren des Mittelmeeres hinaus-
fuhren, um diesen wunderschönen Tag zu nutzen.
Die Befehle, die man dem SPC gegeben hatte, waren
klar. Er sollte jeden Oberflächenkontakt melden, der sich
irgendwo der Westküste näherte. Theoretisch bedeutete
das, dass er alle Kontakte ignorieren konnte, welche die In-
sel verließen. Allerdings stieß er schnell auf ein Problem.
Die meisten Boote kehrten irgendwann wieder um und
fuhren dorthin zurück, woher sie gekommen waren. Sei es,
um Mittagspause zu machen, zu tanken, neue Passagiere an
Bord zu nehmen, über Nacht anzulegen oder was auch
immer. Deshalb musste er alles verfolgen, was sich bewegte.
Seit er seinen Dienst begonnen hatte, führte er eine Lis-
te, auf welcher er die Nummern notierte, die er jedem
Kontakt im Computersystem gegeben hatte. Er trug den
genauen Ort ein, an dem das Radar den Kontakt zuerst
gemeldet hatte. Außerdem notierte er die ungefähre Rich-
tung. So hoffte er, möglichst alle Oberflächenkontakte zu
eliminieren, die einfach nur aus irgendeinem kretischen
Hafen aufs Mittelmeer hinausfuhren, wendeten und wie-
der zurückfuhren.
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Wonach er eigentlich suchte, waren unbekannte Kon-
takte mit Schiffen, die aus westlicher Richtung auf seinem
Radarschirm erschienen, vor allem mit größeren Schiffen,
die einen Hubschrauber an Bord nehmen konnten. Kurz
nach sieben Uhr morgens entdeckte er einen solchen Kon-
takt. Er wurde nicht vom Schiffsradar gemeldet, sondern
war über eine sichere Datenverbindung von einem der
beiden Sea Kings in das System eingespeist worden. Die
Hubschrauber deckten ein Gebiet etwa fünfzig Meilen
westlich der Invincible ab. Der Kontakt hielt sich auf schnurgeradem östlichen Kurs, der, falls das Schiff ihn
nicht änderte, zu einem Punkt genau im Süden von Kreta
führte. Und der Kontakt war groß, viel größer als die meis-
ten anderen Kähne in den Gewässern rings um die Invin-
cible . Wie er es schon ein Dutzend Mal vorher getan hatte, gab der Compiler dem Kontakt eine Nummer und meldete
sie dem Principal Warfare Officer an seiner Konsole im
Kontrollraum.
»PWO, hier SPC. Neue Markierungsnummer zwo drei
eins, Position zwo sechs zwo, Entfernung einhundertzwan-
zig Meilen, Kurs null neun fünf. Quelle AsaC-Daten-
verbindung.«
»SPC, hier PWO, Roger. Weiter verfolgen. Melden Sie
jede Kursänderung und Annäherung des Kontaktes auf
fünfzig Meilen.«
»Aye, Aye, Sir.«
Der SPC beugte sich wieder über seinen Bildschirm und
überzeugte sich, dass jeder Kontaktpunkt eine computer-
erzeugte Nummer trug. Sein Hauptaugenmerk richtete er
jedoch auf den neuen Kontakt, der sich langsam näherte.
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Nach Einschätzung des SPC entsprach er auch genau dem,
worauf er hatte achten sollen.
Damit lag er ganz richtig.
Máleme, Kreta
Richard Stein wachte um halb acht auf, stieg aus dem Bett
und trat sofort an das Fenster, von dem aus er den Park-
platz überblicken konnte. Er zog den Vorhang ein Stück-
chen zurück und beobachtete die Wagen, die angrenzen-
den Straßen und die
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