Die Virus-Waffe
Touristengebiet wie Kreta
nach sich ziehen konnte, verbaten jedes Zögern. Außer-
dem war selbst dieses Horrorszenario nur die kleinste ihrer
Sorgen. Falls Touristen sich mit einem Virus infizierten,
dessen tödliche Wirkung dem von Ebola gleichkam, und
anschließend nach Amerika und Europa zurückkehrten,
konnten sie sehr bald eine unkontrollierbare Seuche auslö-
sen, neben der sich der Schwarze Tod noch harmlos aus-
nahm.
Nachdem Gravas das Gesundheitsministerium infor-
miert und das Räderwerk in Bewegung gesetzt hatte, kon-
zentrierte er sich wieder auf sein unmittelbares Problem:
Kandíra und die Menschen, die in dieser kleinen, isolierten
Gemeinde lebten.
Er musste jetzt gleich mehrere Probleme angehen. Zu-
nächst musste er sicherstellen, dass jeder, der Aristides’
Haus betreten hatte, isoliert wurde, obwohl er mit dieser
Maßnahme vielleicht übertrieb. Denn Ebola und Marburg
wurden normalerweise durch Kontakt mit der Körperflüs-
sigkeit eines infizierten Opfers übertragen. Aber es gab ei-
ne dritte, relativ unbekannte Abart des Ebola, das Ebola-
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Reston. Das Virus wirkte auf Affen tödlich, hatte jedoch
aus irgendwelchen Gründen keine Auswirkungen auf Men-
schen. Angeblich wurde es jedoch durch die Luft übertra-
gen. Also erschien es Gravas sicherer, kein Risiko einzuge-
hen.
Außerdem musste er unbedingt herausfinden, wo genau
der Grieche sich aufgehalten und mit wem er die letzten
paar Tage verbracht hatte. Vor allem am Tag vor seinem
Tod. Diejenigen, die ihn zuletzt gesehen hatten, konnten
vielleicht wertvolle Informationen zu seinem körperlichen
Zustand liefern. Damit bekam Gravas einige Indikatoren
an die Hand, wie schnell die Erkrankung fortgeschritten
war. Natürlich bestand außerdem die Möglichkeit, dass ei-
nige der Leute, die mit Aristides zusammen gewesen wa-
ren, ebenfalls von dem Virus infiziert waren. In diesem
Fall würden im Laufe der nächsten Tage mehr, vermutlich
viel mehr Todesfälle auftreten.
Gravas’ letztes Problem war das größte. Er musste he-
rausfinden, wie und wo sich Aristides mit dem tödlichen
Virus infiziert hatte. Er schaute über die staubige Straße,
die in der Hitze flimmerte. Bedauerlicherweise hatte er
nicht die geringste Ahnung, wie er dieses Problem ange-
hen sollte.
Heraklion, Kreta
Die an die Gesundheitsbehörde auf Kreta gefaxte Nach-
richt des CDC war in Englisch verfasst und etwa acht ein-
zeilig bedruckte Seiten lang. Trotzdem konnte man ihren
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Inhalt in sechs Worten zusammenfassen. »Fasst nichts an.
Wartet auf uns.«
Außerdem enthielt das Fax die Bitte um zwei große Ge-
friertruhen und einen Generator, um sie zu betreiben. Sie
sollten umgehend an den Schauplatz des Ausbruchs ge-
bracht werden, falls sie dort nicht vorrätig waren. Der
diensthabende Beamte im Ministerium tätigte zwei Anru-
fe, wurde aus keinem der beiden Gesprächspartner so
recht schlau, zuckte mit den Schultern, und führte zwei
weitere Telefonate. Das erste mit einem Haushaltsgeräte-
händler in Heraklion, das zweite mit einem Hersteller von
Industriegeräten.
Dreißig Minuten nach dem Anruf von Dr. Gravas war
eine dringende Konferenz einberufen worden, auf der über
die notwendigen Maßnahmen beraten wurde, die vor dem
Eintreffen des CDC-Teams ergriffen werden mussten. Die-
se Konferenz verlief kurz und turbulent. Dem Touris-
musminister lag vor allem Kretas Ruf als Ferienort am
Herzen, und er widersetzte sich mit Händen und Füßen
dem Ansinnen, offiziell zu bestätigen, was in Kandíra pas-
siert war. Er wurde von allen anderen Anwesenden über-
stimmt.
Eine Viertelstunde nachdem er das Konferenzzimmer
verlassen hatte, erließ der Gesundheitsminister eine Reihe
von Instruktionen, die allesamt die Isolierung von Kandíra
noch verstärkten. Eine Stunde danach gab er vor den war-
tenden Pressevertretern eine kurze Verlautbarung ab, wei-
gerte sich jedoch, auf irgendeine Frage zu antworten.
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Flughafen von Brindisi, Papola-Casale,
Apulien, Italien
Simpson kehrte mit leicht gerötetem Gesicht und sichtlich
gesättigt kurz nach sechzehn Uhr zum Gebäude der Staffel
zurück. Missbilligend betrachtete er die beiden leeren
Sandwichteller und den Pappbecher, Indizien für Richters
eher kargen Lunch.
»Warum essen Sie niemals ordentlich?«, wollte Simpson
wissen.
»Weil ich im Gegensatz zu Ihnen nicht über ein un-
begrenztes Spesenkonto verfüge«, schoss Richter zu-
rück.
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