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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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gehalten. Dieser nun sagt, daß er das Lösegeld nur aus der Hand von dessen Ehegemahlin, der schönen Dame Margaret höchstpersönlich, entgegennimmt. «
    Trotz seiner rollenden Aussprache verstanden die beiden Ritter sofort, was das bedeutete. Sir Huberts Gesicht lief rot an, so unerwartet war die freudige Botschaft. Er setzte sich auf und beugte sich so jäh vor, daß die Bettdecken ihm bis zum Nabel rutschten.
    »Gilbert ! Er lebt ! Gott im Himmel sei Dank ! «
    Doch Sir William, der aus eigener, bitterer Erfahrung wußte, was es heißt, einen Sohn von den Franzosen freizukaufen, erwiderte aalglatt: »Warum läßt der große und wohlhabende Sieur d'Aigremont, für den das Lösegeld eines einfachen Ritters ein Sandkörnchen am Strand sein dürfte, ihn nicht auf Ehrenwort frei, damit er heimkehren und sein Lösegeld selbst auftreiben kann?«
    »Ach, das«, gab Fray Joaquin diplomatisch zurück. »Mein wohledler Herr hat soviel Freude an seiner Gesellschaft, daß er ihn keinesfalls ziehen lassen möchte. Sie teilen das Interesse an der Poesie. «
    »Ach ja«, antwortete Sir William im gleichen, nichtssagenden Ton. »Mir ist, als hätte ich den Namen schon gehört. Handelt es sich bei Sieur d'Aigremont nicht um jene durchlauchtige Seele, die für ihre fürstliche Gastfreundschaft ebenso berühmt ist wie für ihre ausgezeichneten Lieder? Heißt er nicht bei den Leuten von erlesenem Geschmack der edle trouvère — oder war es Dichterfürst–, falls ich mich recht entsinne?«
    »Ich bin entzückt, daß sein Ruf über das Meer gedrungen ist. Er ist ebendieser Edelmann. «
    »Also hat Gilbert gelebt wie die Made im Speck, hat auf der Harfe geklimpert und Minnelieder gesungen, während ich vor Gram fast in die Grube gefahren bin !« Jählings bebte Sir Hubert vor Zorn. Sir William warf ihmeinen warnenden Blick zu. »Seht mich nicht so an ! Ich kenne das undankbare Balg nur allzu gut. «
    »Ich auch, vergeßt das nicht«, sagte Sir William mit zusammengebissenen Zähnen. Denn vor langer Zeit war Gilbert als Grünschnabel von vierzehn Lenzen sein Knappe gewesen, ehe er durchbrannte, um sich der Gelehrsamkeit zu widmen und seinem Vater vom sicheren Hort einer fremdländischen Hauptstadt aus einen groben Brief zu schreiben.
    »Laßt mich nachdenken – hmm. Ich entsinne mich, daß ich am Hof von Flandern einen trouvère habe singen hören – wie ging das noch? – ›Ode an Madames Elfenfüßchen.‹ Die ist von ihm, nicht wahr?« sagte Sir William, zum Abgesandten des Grafen gewandt.
    »›Ich huldige‹. Es heißt ›Ich huldige‹.«
    »Und ein anderes – ›Das Lied der tragisch Liebenden‹? – Oder täuscht mich mein Gedächtnis?«
    »Noch nie davon gehört«, knurrte Sir Hubert, und Sir William warf ihm schon wieder einen warnenden Blick zu – einen, der Fray Joaquin nicht entging.
    »Ausnehmend erlesen. Ein Mann mit einer herrlichen Begabung. Und von äußerst edlem Gefühl«, fuhr Sir William fort.
    »Ballade. Es ist die Ballade der tragisch Liebenden.«
    »Ich bitte um Vergebung. Ich bin nur ein einfacher Ritter aus einem unwirtlichen, rauhen Land. Aber ich hege Bewunderung für die gentilesse, die mir selber fehlt.« Sir William beugte sich vor und richtete einen bohrenden Blick auf Fray Joaquins kaltes, graues Gesicht. »Wieviel?« fragte er.
    »Fünfunddreißig Florin.«
    »Und aus der Hand der schönen Dame Margaret höchstpersönlich? Welch eigenartige Bitte.«
    »Mein Herr möchte die Quelle und Inspiration so vieler wunderbarer Lieder mit eigenen Augen sehen. Er wird beide königlich bewirten. «
    »Des bin ich sicher. Es soll alles nach seinen Wünschen gerichtet werden. Natürlich müßt Ihr uns, sagen wir, einen Monat zugestehen, damit wir das Lösegeld aufbringen und an den Hof Eures Herrn reisen können. Verweilt Ihr hier, um dann mit Dame Margaret und ihrem Gefolge heimzuziehen?«
    »Nein, ich kehre so schnell wie möglich heim.« Nach einer Unterhaltung, in der man sich über sichere Reiserouten austauschte, ließ Sir William eine Frage einfließen.
    »Sagt, was genau hat Mon Seigneur d'Aigremont, der sich doch nirgendwo in der Nähe der normannischen Front befand, dazu bewogen, Sir Gilbert bei sich aufzunehmen?«
    »Sein Ruf als Dichter ist bis zu meinem Herrn gedrungen, er hat seine Lösegeldforderung zusammen mit der einiger anderer englischer Gefangener aufgekauft.«
    »Ah, ich verstehe.«
    Nichts verstehst du, du blödes, englisches Schwein, dachte Fray Joaquin. Denn wenn, so würden dir die

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