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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Augen vor Entsetzen aus dem Kopf quellen. Und das hätte ich zu gern gesehen. Insbesondere, wenn Euer Kopf auf einem Tablett läge.
    Als der finstere Dominikaner nach draußen zu Tisch gebeten wurde, flüsterte Sir Hubert grimmig:
    »Wie zum Teufel könnt Ihr ihm Margaret versprechen, wo Ihr doch wißt, daß sie verschwunden ist?«
    »Jetzt versprechen, später liefern, gilt als Regel bei Unterhandlungen«, sagte Sir William. »Außerdem würde ich nicht einmal eine mir liebe Jagdhündin in die Reichweite dieses Mannes lassen.«
    »Was meint Ihr damit? Er ist ein großer Herr und berühmt für seine Gastfreundschaft. Jeder Gefangene von Adel kann ritterliche Behandlung erwarten und dürfte bei ihm wie Gott in Frankreich leben. Ei, unser König läßt seine Gefangenen sogar auf die Jagd gehen – wenn auch in Begleitung.«
    »Hier ist nicht die Rede von Königen, Sir Hubert. Es geht um den eitelsten Mann in allen Königreichen Europas.«
    »Was soll das heißen?«
    »Er hat einem fahrenden Sänger die Gliedmaßen abschlagen lassen, nur weil jener andeutete, er hätte ein fettes Gesicht. Ich habe den Mann gekannt. Er war Flame und ein echter Hofnarr.«
    »Worauf zielt Ihr ab? Gilbert ist von edler Geburt. Was ein Herr Bauern antut, zählt nicht.«
    »In der Regel nicht, Sir Hubert. Aber habt Ihr schon einmal ›Ich huldige Madames Elfenfüßchen‹ gehört?«
    »Mit Gedichten kann ich nichts anfangen. Musik ist für mich nur Klingeling. Alles überbewertet, dieser Kunstkram.«
    »Vielleicht, aber laßt Euch eines sagen. Dieser fettgesichtige Graf hat Troubadoure angeheuert, daß sie die Weise an allen Höfen Europas singen. Hinzu kommt noch, daß es sich bei der ›Huldigung‹ um die albernste Reimerei handelt, die je gesungen wurde. Ich habe dabei Magenschmerzen bekommen, so peinlich war sie mir. Ich mußte einen Erstickungsanfall vortäuschen und an mich halten, daß ich in höfischer Gesellschaft nicht laut loslachte. Nun – was meint Ihr, was würde Gilbert tun, wenn er dergleichen zum ersten Mal hörte?«
    »Ihm die Wahrheit sagen«, erwiderte Sir Hubert.
    »Getroffen.«
    »Dann steht zu fürchten, daß er dem Kalb ins Auge gestoßen hat«, seufzte Sir Hubert.
    »Ja. Ich freue mich, daß wir hierin einer Meinung sind. Wir werden sehr behutsam vorgehen müssen, wenn wir ihn in einem Stück wiederhaben wollen.«
    »Es war einfacher, ihn als tot zu betrauern, diesen gottverlassenen Idioten.«

    »Faszinierend. Nicht zu fassen, daß ich solange gelebt und dergleichen nie gesehen habe.« Ich konnte Master Kendalls Schatten direkt über Bruder Malachis Schmelztiegel wirbeln sehen, denn natürlich wollte er alles haargenau mitbekommen.
    Bruder Malachi war ganz Geschäftigkeit wie immer, wenn er arbeitete. »Sim, jetzt tüchtig den Blasebalg treten, für dieses Verfahren brauchen wir sehr heißes Feuer – und, Margaret, könntest du die Smaragde noch einmal umdrehen? Nimm die Zange dazu, ja, und nicht anfassen, sonst verdirbst du mir die schöne Oberfläche. Oh – pfui. Margaret, ist das etwa Master Kendalls Gei – äm – Manifestation über dem Schmelztiegel? Ich bin, glaube ich, in ihn hineingetreten. Bitte ihn, daß er sich etwas zurückzieht. Sonst kühlt er mir das Ganze noch unabsichtlich mittendrin ab. Ich möchte nicht, daß das Geld vorzeitig abblättert – sonst könnte es uns böse ergehen –«
    Master Kendall folgte mir durch das vollgestopfte kleine Laboratorium, während ich die kleine Zange vom Bord holte und ein Gefäß voller Öl öffnete, in dem fünf gleiche Kristalle, allesamt hübsch grün gefärbt, die letzten Tage gezogen hatten. Ich drehte sie äußerst behutsam um und legte den Deckel wieder auf. Die waren Malachis Werk; er hatte sie in Alaun und Harn eingelegt und sie dann in Grünspan erhitzt, bis sie so grün waren wie echte Smaragde. Juwelen, so sagte er, sind oft als Zugabe zum Lösegeld nützlich. Augenblicklich machte er aus billigen Kupferringen vom Cheap und einer Reihe alter Kupferpennys Gold.
    »Geld für die Überfahrt, Bestechungsgelder – o ja, zwei deiner Florin zu Pulver reduziert und mit Blei versetzt, werden uns zu sehr wohlhabenden Reisenden machen, Margaret. Das findet keiner heraus, nicht durch Anfassen, nicht durch Reiben und nicht einmal mit einem Prüfstein. Jetzt ist alles bereit für den ersten Überzug. Man mischt das Pulver mit Harz und überzieht damit alles ganz gleichmäßig. Paß auf, Sim, sonst wird aus dir nie ein Alchimist – die Hitze macht, daß sich

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