Die Vision
liebenswert. Nun, wenn sie nett im Umgang oder eine angenehme Unterhalterin gewesen wäre, ich hätte mich ins Unvermeidliche gefügt. Doch allein schon der Gedanke ärgerte mich unsäglich. Daher munterten mich Master Kendalls Worte beträchtlich auf.
»Unmöglich«, sagte der. »Das schafft niemand. Euer Schatten verdunstet wie Tau in der Mittagssonne. Jedes Kind weiß das. Das erzählen sie einem doch als erstes, wenn man hierher kommt.«
»Unfug«, gab sie zurück. »Ich habe einen hellen Kopf, im Gegensatz zu ein paar eher niederen Menschen hier, und ich habe mir alles zurechtgelegt. Schließlich ist die Seele unsterblich, oder? Was macht es also, wenn die Form vergeht? Außerdem muß sie das nicht unbedingt – keiner von euch Männern hat bislang den Mut gehabt, es zu versuchen. Und bedenkt eines: Wie könntet Ihr alle zum Hades, oder wie immer sich der Ort nennt, ziehen sehen, wenn einige davon in der Fremde gestorben sind?«
»Die oben können es für uns bewerkstelligen, wenn sie wollen, doch wir selbst können das nicht.« Allmählich zeigte Master Kendall Interesse an dem Streit.
»Na und – Ihr werdet schon noch sehen, und dann müßt Ihr Abbitte leisten, Ihr, Ihr – Margaret, ich sehe Eure Miene. Kommt ja nicht auf den Gedanken, die Schühchen nicht mit an Bord zu nehmen, sonst mache ich einen solchen Aufstand, daß Ihr Euch wünscht, Ihr wäret nie geboren –«
»Dann wollt Ihr also wirklich den Versuch machen, äh? Doch vermutlich nicht nur, um einen einstigen Tuchhändler zu ärgern, der nun zwischen Himmel und Erde lebt?«
»Haltet Ihr mich etwa für rührselig? Unfug! Ich tue es nur, weil es mir Spaß macht, Euch Verdruß zu bereiten, das könnt Ihr mir glauben. Also, wenn ich es schaffe, dann müßt Ihr zugeben, daß ich Euch über bin. Ja?« Sie war jetzt voll ausgebildet und schüttelte den Kopf, daß ihre langen Ohrringe und schimmernden Ketten, wären sie weniger körperlos gewesen, geklirrt hätten. Eine ungebärdige Locke hatte sich aus ihrer adretten Haube gelöst, und ihre durchscheinenden Augen glänzten wie die eines ungezogenen Kindes.
Master Kendall sah sich das alles lange und beifällig an, wie es seine Art war, dann sagte er nicht gerade unfreundlich: »Aber ja doch, dann müßte ich Euch wohl recht geben.«
Doch ihre gespenstisch pfeifende Unterhaltung wurde von dem anheimelnden Laut unterbrochen, mit dem sich Bruder Malachi auf seinen Schemel plumpsen ließ; dabei seufzte er und wischte sich die Stirn mit dem Ärmel. »Ha! Es wird, es wird! Sim, mein Hirn braucht Nahrung. Sieh nach, was Hilde für mich auftreiben kann – und für dich auch etwas. Pu! Ist das eine Hitze!« Er drehte sich um, sah mich und fuhr zusammen, als hätte er vergessen, daß ich die ganze Zeit über im Zimmer war. »Ei, Margaret, bist aber mäuschenstill gewesen. Und was hältst du von meinem Verfahren? Prächtig, nicht wahr? Du liebe Zeit, ist dir etwas? Du siehst wirklich eigenartig aus! Wahrscheinlich hättest du dir nie träumen lassen, daß man aus zwei Florin soviel Wohlstand machen kann. Ah, Sim, die vollendete Nahrung für das Hirn! Und obendrein kellerkalt. Und dazu einen für Margaret! Margaret, erfrische dich mit Ale – du siehst ganz blaß um die Nase aus. Worum sorgst du dich denn nun schon wieder?«
»Ich? Um gar nichts, Bruder Malachi.«
»Gut, gut. Du mußt Zutrauen zu meinen mächtigen Geisteskräften haben, mit denen ich alle Probleme vorhersehen und lösen kann.«
Eigentlich wollte ich ihn etwas fragen, doch ich traute mich nicht. Seine reizbare Laune war verflogen, aber ich konnte keine weitere bissige Bemerkung über mich verkraften. Ich hatte ihn fragen wollen: Und was habt Ihr mit dem Rest von Master Kendalls Goldflorin gemacht?
»Dreh dich noch einmal«, sagte der alte Lord.
Das Mädchen in dem schlichten, grauen Unterkleid und dem blauen Überkleid aus der Truhe oben, das Haar unter dem weißen Schleier und der Rise der verheirateten Frau verborgen, drehte sich erneut.
»So mag es gehen«, sagte der alte Lord vom Bett her mit einer zustimmenden Handbewegung.
»Die Wirkung scheint irgendwie falsch. Gehörten die Sachen wirklich ihr? Sie sehen rein nach gar nichts aus.« Sir William lagerte bequem am Fußende des Bettes und musterte das Mädchen sinnend.
»Hmm. Ihr habt recht. An ihr hatten die Kleider so etwas Gewisses. Schlicht, aber nicht reizlos. Reizlos aber tut es nicht, nicht einmal bei der Frau eines einfachen Ritters.«
Das Mädchen blickte Sir William
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