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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Ohr war leiser als ein Flüstern. »Bring ihn dazu, daß er den Ring aufsetzt.«
    Margaret wählte ihre Worte sorgfältig.
    »Theophilus – will – daß ich ihm seinen Ring – seinen Zauberring – den Ring der Macht – bringe.«
    Klar, sie stand unter einem Zauberbann, so wie sie redete, so vorsichtig und langsam. Aber er würde sie hinters Licht führen.
    »Theophilus möchte, daß ich den Ring bekomme«, sagte er sanft und einschmeichelnd. Verhexte Frauen sind benommen und leicht zu täuschen. »Habt Ihr ihn?«
    Margaret sah das gemeine Messer immer noch in seiner Hand glänzen. Wenn sie die Frage bejahte, könnte er sie durchaus erdolchen und durchsuchen. Sie antwortete – und hoffte, ihn damit zu mystifizieren: »Ich habe ihn bei mir und auch wieder nicht. Ruft Theophilus.«
    »Theophilus hat gerade zu tun. Gebt ihn mir, ich will ihm den Ring schon geben.«
    »Niemand außer Theophilus darf den Ring tragen«, sagte Margaret in geheimnisvollem Ton. Langsam erwärmte sie sich für die Rolle. Der Mann war ein Esel erster Güte. »Na, dann wollen wir einmal sehen, ob wir ihn dazu bringen können, daß er ihn ansteckt«, summte das silbrige Stimmchen ihres arbeitenden Hirns.
    »Die – Macht – ist – zu – groß. Niemand darf sie besitzen. Wer – ihn – ansteckt – und – ihn – dreimal – dreht – wird –«
    »Ja, ja?« Er konnte sich kaum noch beherrschen.
    »Die – Welt – beherrschen.« Sie sah, wie seine Augen vor Habgier funkelten. Und wenn du glaubst, daß er wirkt, wieso kommst du dann nicht auf die Idee, ich könnte ihn mir selbst anstecken und die Welt beherrschen, du dummer Mann, dachte sie. Warum müssen Frauen immer Zauberringe herumschleppen und magische Quellen und heilige Bücher der Weisheit hüten, und was dergleichen albernes Zeug mehr ist, anstatt selber Nutzen daraus zu ziehen? Beiß an, beiß an, du verfluchter, verblendeter, lächerlicher Unhold.
    »Gebt ihn mir«, flüsterte er.
    »Macht – Euch – bereit – Meister«, sagte Margaret salbungsvoll. Fray Joaquin schob sich das Messer in den Ärmel.
    »Das Kästchen«, bedeutete Margaret Hilde hochfahrend. Hilde machte eine völlig ausdruckslose Miene, zog das Kästchen hervor, öffnete den Deckel und streckte es ihr hin. Die Edelsteine auf dem Ring glitzerten im flackernden Licht.
    »Uraburus. Die Schlange verschluckt ihren Schwanz. Das Universum – Meister.« Er griff mit zitternden Händen nach dem Ring, steckte ihn an den Mittelfinger und drehte ihn dreimal.
    »Verneigt – Euch – vor – dem – Meister des Ringes«, sagte Margaret und fiel auf ein Knie wie vor einem König. Wirk, wirk, du verfluchter Ring. Oder sollte die dunkle Dame mich getäuscht haben? Mutter Hilde und Sim waren Margarets Beispiel rasch gefolgt.
    »Was befehlt Ihr, oh, Herr des Ringes?« Margaret konnte es nicht lassen, sie mußte noch dicker auftragen. Es überkam sie einfach. »Das wollen sie doch alle«, sang das Stimmchen. »Gib's ihm reichlich.«
    »Frauen –« flüsterte er. »Zuerst will ich Euch – und dann noch mehr.« Nein, zuerst sollte er lieber Theophilus umbringen, der das Geheimnis kannte. Und er drehte den knienden Frauen den Rücken zu und blickte den gefesselten Alchimisten an. Nein – warte, war er jetzt nicht der Herrscher über alles? Theophilus würde sein Sklave sein und Tag und Nacht Gold machen. Warum sollte er in der Hitze schuften und sich ansengen? Er würde wie ein Edelmann leben – Edelleute plackten sich nicht in Laboratorien ab. Nein, nein, einen wertvollen Sklaven brachte man nicht um. Aber angenommen, der Ring wirkte nur bei Frauen? Er warf einen Blick durch die offene Tür. Er hatte nicht einmal gehört, wie Sim Bruder Anselm grimmig zuflüsterte: »Auf die Knie, du Dummkopf«, und ihm einen tüchtigen Tritt ans Schienbein versetzt hatte, damit dieser sein Englisch auch verstand. Und Bruder Anselm, der im Chor immer so flink mit den Responsorien einsetzte, merkte, daß es Zeit zum Knien war. Vielleicht war ja eine Reliquie mit großer Macht in dem Kästchen. Also gesellte er sich zu den Knienden.
    Fray Joaquin sagte mit heiserer Stimme zu Margaret: »Der Ring – befiehlt er allen?«
    »Allen«, sagte Margaret. Wie lange sollte das noch dauern?
    »Auch Theophilus?«
    »Dessen Macht ist dahin – er ist nicht im Besitz des Ringes.«
    »Hiergeblieben – ich muß doch sehen –«
    »Ja, o Herr.«
    Fray Joaquin machte kehrt und ging ins Laboratorium, und jetzt konnten die Zuschauer auch im Schein vom Feuerrost

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