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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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unter dem großen, gemauerten Alembik Bruder Malachis gefesselte Gestalt zwischen zwei muskulösen, schwarz gekleideten Gestalten ausmachen. Sie sahen, wie der schwarze Dominikaner die Fesseln durchschnitt und ihm die Kapuze abnahm. Hoffentlich hat er alles mitbekommen, dachte Margaret. Nachdem Fray Joaquin Bruder Malachi endlich befreit hatte, intonierte Margaret, um ganz sicherzugehen:
    »Verneigt Euch vor dem Meister des Ringes.« .
    »Dem Meister des wa –?« fragte Malachi blinzelnd, doch dann hielt er inne, als er den Ring auf der Hand erblickte, die Fray Joaquin ihm hinstreckte.
    »Oh, Meister, ich ergebe mich«, sagte Malachi und fiel schwungvoll auf die Knie.
    »Du bist mein Sklave, Theophilus.« Meiner Treu, was kommt jetzt noch, dachte Malachi.
    »Küsse den Saum meines Gewandes.« Vermutlich vom Regen in die Traufe, dachte Bruder Malachi bei sich. Doch als er zierlich den Saum von Fray Joaquins ziemlich schmutzigem, schwarzen Umhang in die Nähe seiner Lippen hob, entglitt ihm das Kleidungsstück, denn Fray Joaquin war auf die Knie gesunken.
    »Übel – mir ist – übel«, keuchte er.
    »Hmm. Ein machtvoller Ring«, sagte Bruder Malachi und erhob sich. Und bei Fray Joaquin fand in der Tat eine gewaltige Umwandlung statt. Er streckte jetzt die Gliedmaßen steif aus, zuckte am ganzen Leib, und sein Gesicht – nun eine gräßliche Fratze – war schwarz angelaufen.
    »Oh, Malachi«, sagte Margaret, »was für ein scheußliches Zeug.«
    »Noch viel zu gut für ihn«, sagte Bruder Malachi bitter. »Hast du gewußt, daß er die Kinder beschafft hat, die sein Meister für seine Teufelsanbetungen brauchte?«
    »Was ist denn, was ist denn?« fiel ihm Bruder Anselm mit quengeliger Stimme ins Wort.
    »Der Ring der Macht – er war leider zu mächtig für ihn«, sagte Bruder Malachi obenhin. »Man muß sich unter den richtigen Gebeten jahrelang läutern, wenn man ihn gefahrlos tragen will.« Er stupste den Leichnam mit dem Zeh an, um zu sehen, ob er auch wirklich tot war. »Laßt Euch das eine Lehre sein. So geht es mit der Eitelkeit menschlicher Begierden.« Er konnte der Versuchung nicht widerstehen, etwas recht Salbungsvolles anzufügen.
    »Alles ist Eitelkeit«, stimmte ihm Bruder Anselm zu und bekreuzigte sich.
    »Malachi, wo ist mein Gregory? Könnt Ihr mich zu ihm bringen?«
    »Nichts leichter als das. Aber es ist feucht und glitschig. Wir brauchen Fackelträger. Wir müssen die Stummen bitten, daß sie uns helfen.« Er blickte sich um. Die Stummen hockten im Kreis auf dem Boden. In ihrer Mitte Mutter Hilde, die auf den Hacken kauerte. Alle machten rasche Handbewegungen. Malachi fiel auf, daß einer eine Geste machte, als würde er erdrosselt, dann formten seine Hände ein Häuschen, und seine Finger liefen wie kleine Füße.
    »Hmm«, sagte Bruder Malachi. »Sie verstehen kein Wort Englisch und die liebe Hilde keine Silbe einer Fremdsprache, und doch scheinen sie sich auch ohne diese recht gut zu verständigen.«
    »Teufelssymbole«, sagte Bruder Anselm bänglich. »Ich habe das Teufelszeichen gesehen.«
    »Unsinn, sie unterhalten sich. Hilde, mein Schatz, was sagen sie?«
    »Der hier sagt, daß es keinen Spaß macht, stumm zu sein und hier unten im Dunkeln zu leben und Menschen zu erdrosseln. Er will nach Haus, zum Hof seines Onkels, wo es einen schönen Obstgarten gibt.«
    »Das hat er alles gesagt?«
    »Natürlich. Der andere sagt, daß die Kerle hier unten allesamt gemein wie Teufel waren, außer dir. Er will wissen, woher wir kommen.«
    Bruder Malachi lächelte. Er machte mit den Händen die Wellenbewegungen des Meeres, dann ein kleines Boot und etwas, das für ihn wie eine Insel aussah.
    Die Stummen warfen den Kopf zurück und schüttelten sich, als wollten sie lachen. Einer von ihnen brachte sogar eine Art Husten zustande.
    »Sie sagen, du hast einen furchtbaren Akzent, Malachi«, meinte Hilde.
    »Sag ihnen, daß der Graf tot ist und daß sie nach Hause können, wenn sie möchten. Frag sie, ob sie uns helfen wollen, zunächst einmal Gilbert aus dem Verlies zu holen.«
    »Sie sagen, daß aus den Verliesen noch kein Mensch herausgekommen ist, zumindest nicht seitdem sie hier sind. Die sind zu tief. Man läßt die Leute hinunter und schneidet dann den Strick durch. So kommt niemand wieder heraus.«
    »Sag ihnen, was drin ist, kommt auch wieder heraus.«
    »Das bezweifeln sie, aber sie sagen, sie wollen mit uns kommen.«

    »Ist er tot? Wirklich tot?« fragte ich und musterte die schwarz gewandete

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