Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
heiraten.«
    »Ja, Madame Belle-mere«, erwiderte ich, und mein Atem wurde immer noch stoßweise vom kalten Steinfußboden zurückgeworfen.

    »Ihr sollt zu ihm kommen.« An der Tür stand Fray Joaquin und blickte sich im Laboratorium um. Alles schien unverändert. Messer Guglielmo schnob vor Arger und Neid immer noch Wut, und der fette, kleine Alchimist hockte, bleich vor Müdigkeit, auf dem Schemel an die Wand gelehnt und hatte die Füße hochgezogen, so daß er eher wie ein Sack voll Rüben wirkte denn ein Meister des Großen Werkes.
    »Zu ihm kommen? Wozu denn?« Bruder Malachi tat überrascht. Er lehnte immer noch an der Wand, und dankbar für die Kühle des Steins wischte er sich mit dem Ärmel die Stirn. Handschuhe und Rührstab lagen vergessen in einer Ecke.
    »Ganz meine Meinung«, kam Messer Guglielmos unwirsche Stimme aus der Schar von Köpfen, die sich um den rasch abkühlenden Schmelztiegel drängten. »Verteufelt wenig Gold nach den ganzen Unannehmlichkeiten, die Ihr mir gemacht habt.«
    »Aber trotzdem Gold, und das von bester Qualität. Das ist mehr, als Ihr mit Eurer Quintessenz von zweitausend Eiern geschafft habt. Ihr seid ein Parasit, er aber ist ein Genie«, fuhr ihn Fray Joaquin an.
    »Es wäre mehr geworden, wenn wir Vollmond gehabt hätten«, beschwerte sich Malachi. »Der Mond verstärkt die Wirkung des Pulvers.«
    »Also, ich für mein Teil habe dergleichen noch nie gehört. Das steht nicht bei Geber, und bei Villanova auch nicht. Und was Magister Salernus anbetrifft –«
    »Euer Geber hat Euch noch keine Spur von Gold eingetragen.« Fray Joaquins Hirn raste. Warum sollte er diesen wertvollen Kerl dem Grafen überlassen? Ein langer Weg vom Keller bis zum Schlafgemach im Turm. Ich muß mir dieses Plappermaul Messer Guglielmo und seine wertlosen Teufel vom Hals schaffen, alsdann verfrachte ich diesen Theophilus einfach zum Stall, und dann nichts wie weg. Ich bin soviel in geheimen Geschäften für den Grafen unterwegs gewesen, daß niemand Verdacht schöpft, bis es zu spät ist. Ich kann ihn praktisch überall für ein hübsches Sümmchen verkaufen – oder besser noch, einen Ort ausfindig machen, wo ich ihn an die Arbeit setze. Rasch, entschlossen. So geht das.
    »Fesselt ihn. Verhüllt ihm das Gesicht. Der Graf wartet.«
    »Ei, das Gesicht verhüllen? Ist das nicht ein wenig melodramatisch? Und wenn ich nun stolperte und mir den Kopf verletzte? Mein Kopf ist empfindsam wie eine zarte Pflanze –«
    »Die Stummen werden Euch führen. Das ist ein Befehl. Auf diese Weise könnt Ihr unterwegs niemandem das Geheimnis verraten.« Und auch nicht mitbekommen, was da vor sich geht, wenn ich mich mit Euch davonmache. Was für eine gute Idee.
    Bruder Malachi dachte, wahrscheinlich bringt er mich um, sowie er meint, daß er die Rezeptur hat. Zumindest habe ich Margaret etwas Luft verschafft. Jetzt brauche ich wohl selber welche. Wie gut, daß Messer Guglielmo seine Experimente nicht niederschreibt.
    »Habt Ihr – äh – die einzelnen Schritte noch im Kopf?« fragte Bruder Malachi, während ihm die Stummen die Hände auf dem Rücken fesselten.
    »Natürlich. Glaubt Ihr etwa, ich würde ein so wichtiges Geheimnis dem Papier anvertrauen?« Ich breche in aller Herrgottsfrühe auf, dachte Messer Guglielmo. Mit Sicherheit gibt es Leute, die mir für das Geheimnis weitaus mehr zahlen als der Graf. Ei, der wird mich umbringen, wenn er es erst hat. Ich sollte lieber noch heute nacht aufbrechen, sowie man diesen Kerl, diesen Theophilus, zum Grafen bringt.
    »Vergeßt nicht, daß Ihr den Schwefel in genau dem Augenblick beimischt, wenn der Kampf der Roten Drachen sichtbar wird.«
    »Unfug. Ich habe doch genau gesehen, daß Ihr bis zur zweiten Farbveränderung des Löwen gewartet habt.«
    »Ganz falsch. Habt Ihr denn nicht aufgepaßt? Ist das hier eine Kleinkinderschule?« Malachi richtete sich zwischen den beiden Stummen zu voller Größe auf. Seine Stimme triefte vor Überheblichkeit.
    »Haltet Ihr mich für einen Einfaltspinsel? Ich erkenne den Roten Drachen, wenn ich ihn sehe.«
    »Macht, daß der Mann den Mund hält«, fuhr Fray Joaquin die Stummen an. »Ich muß allein mit Messer Guglielmo reden.« Bruder Malachi beugte den Kopf wie ein Ochse auf der Schlachtbank, und sie führten ihre Arbeit bis zu Ende aus.
    Fray Joaquin zog den wutentbrannten Alchimisten in das dunkle, kleine, innere Gelaß, wo die Familiari beschworen wurden. »Seid Ihr sicher, daß Ihr die Formel im Kopf behalten habt?« fragte

Weitere Kostenlose Bücher