Die Vision
Gestalt, die ausgestreckt auf den Fliesen der alchimistischen Geheimwerkstatt lag. Ich spürte, wie der Haß aus mir wich und mich statt dessen ein eigenartiger Schwindel erfaßte und mich benommen machte.
»Ganz sicher, Margaret. Die vorletzte Umwandlung. Seine letzte, die Verwesung, geht mich nichts mehr an.« Bruder Malachi sagte das so leichthin, damit er mich nicht erschreckte, des bin ich sicher. Aber sein Gesicht war immer noch hager und stoppelig von seiner Gefangenschaft, oder von was auch immer, das in diesem Raum vor sich gegangen war. Selbst Mutter Hildes leidenschaftliche Umarmung und ihre Freudentränen hatten den unverkennbar schwer gezeichneten Malachi nicht richtig aufmuntern können; er sah aus, als hätte er dem leibhaftigen Teufel ins Gesicht gesehen.
»Gregory? Seid Ihr sicher, daß er dort unten ist?« fragte ich und wies auf die offene Tür, die nach unten ins Dunkel führte.
»Ja, er ist dort.« Bruder Malachi nahm den Arm von Mutter Hildes Schulter und bedeutete den Stummen, frische Fackeln für den Abstieg an den Fackeln in den Wandhaltern zu entzünden.
Ich schreibe lieber nicht alles auf, was ich in den gräßlichen Kellern unter dem Laboratorium gesehen habe, denn es war gar zu schauerlich und niederdrückend. Alles erinnerte mich an den Grafen und wie es in seinem Kopf ausgesehen haben mußte – zumindest in dem grausigeren Teil seiner Phantasie, die er sich für besondere Gelegenheiten aufgehoben hatte. Es empfiehlt sich eben immer, sich vorher Gewißheit über den Charakter der Leute zu verschaffen, bei denen man als Gast weilen möchte. Natürlich bewirkte der Ort, daß mein Herz hämmerte, so bang war mir, daß wir für Gregory zu spät kamen.
Als wir uns den großen Gruben näherten, steckten die Stummen die Fackeln in die Halter an der Wand über der letzten Grube und deuteten auf den Flaschenzug über dem Gitter. Beim ersten flackernden Lichtschein hörte ich eine Stimme von unten hochschallen. Erschöpft und heiser, und dennoch seine.
»Was ist es denn dieses Mal? Heldische Couplets? Eure sollte man feige Couplets nennen, Ihr wohlriechender Hanswurst.« Bei dem vertrauten Klang hüpfte mir das Herz.
»Gregory!« Ich warf mich auf das Gitter. »Ich bin's, ich bin's! Wir kommen dich holen.« So schallte mein Freudenschrei und verschwand in den Tiefen der steinernen Grube.
»Lieber Gott«, kam ein hohles Murmeln von unten hoch. »Ich halluziniere schon wieder. Nun ist das Ende nicht mehr fern.«
»Ich bin's, Margaret! Antworte mir! Wie tief ist es bis zum Grund? Wir müssen ein Seil holen, das lang genug ist, um dich herauszuziehen.«
»Oh, Margaret, wieviele Male habe ich dich im Dunkel wohl angerufen. Und ich habe dich auch antworten hören. Aber zum ersten Mal führen wir eine richtige Unterhaltung. Vermutlich ist es eine Gnade, daß mein Geist endlich aufgibt.« Die Stimme schien schwächer zu werden und im Dunkel zu vergehen.
»Gregory, um Gottes willen, ich bin es leibhaftig. Sag mir, wie tief ist es?«
»Zwei- bis dreimal Mannshöhe, Margaret.« Das hörte sich gedankenverloren an, so als träumte er.
»Wenn wir ein Seil zu dir herunterlassen, kannst du dann hochklettern?«
»Ich glaube nicht, Margaret. Hier unten ist es – ziemlich beengt. Ich konnte mich leider nicht wie gewohnt sportlich betätigen. Meine Arme und Beine sind wie abgestorben. Ich habe nicht genug Kraft.«
»Dann binde es dir um, und wir nehmen den Flaschenzug und ziehen dich hoch.« Während ich dastand, hoben die Stummen das Gitter auf und legten es mit geübten Handgriffen beiseite. Als es fort war, hörte ich ihn sagen:
»Wenn das hier nicht wirklich ist, so ist es doch bislang der beste Traum von allen.« Als das Seil aber bei ihm ankam, stieß er einen Verzweiflungsschrei aus.
»Was ist?« rief ich zu ihm hinunter.
»Die verdammte Kälte – meine Finger wollen nicht – ich kann keinen richtigen Knoten machen.« Seine Stimme wurde zu einem dumpfen, hallenden Geräusch, einem rasselnden Husten, der nun aus der Grube hochscholl.
Ich kniete mich an das Loch, und einer der Stummen leuchtete mir mit der Fackel, damit ich sehen konnte. Sim mit seiner Vorliebe für alles Blutrünstige und Grausige war es leid, die Folterwerkzeuge aus der Folterkammer des Grafen zu inspizieren und hatte sich neben mich gekniet, um hinunterzulugen.
»Pu. Da unten stinkt es aber, was? He, was liegt denn da herum? Knochen?« Sim schien das zuzusagen.
Auf dem Grund der Grube konnte ich im matten,
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