Die Vision
»Schon besser«, sagte er. »Doch mir will scheinen, mit der Nase kann man nicht frühstücken. Und meine Geschichte kann man nur im Sitzen richtig würdigen.« Ich steckte den ganzen Kopf heraus. Jetzt war er sich seines Erfolges sicher, drehte sich um, legte das Ei zu den mitgebrachten Sachen und entstöpselte den Krug.
Ich fühlte, wie Gregory sich im Schlaf rührte; sein Atem ging jetzt viel leichter. Also, Margaret, dachte ich bei mir, ganz schlimm kann es nicht stehen. Vielleicht wird ja doch noch alles gut. Ich finde, du solltest aufstehen. Als ich mich aufsetzte, fiel mein Blick auf meine zerknitterten Kleider, die nicht nur zerfetzt und zerrissen waren, sondern in denen ich obendrein noch geschlafen hatte. Margaret, du siehst verboten aus, dachte ich. Wie gut, daß Gregory dich so nicht sehen kann, er würde dich nicht mehr haben wollen. Aber wenn Malachi einmal darauf brennt, seine Geschichte loszuwerden, dann muß ihm alles zuhören, sonst wird er unleidlich und behauptet, daß man ihn nicht gebührend schätzt. Außerdem sah das Frühstück, das er mitgebracht hatte, verlockend aus.
»Wie erhebend, wenn man wichtige Dinge mit einer logisch denkenden Frau besprechen kann«, ging sein Mundwerk, während er das Rindfleisch auswickelte und sein Messer hervorholte. »Sie zögert. Sie sieht ihre Damen und den Hauptmann ihrer Wache an. ›Warum wollt Ihr Euren Sohn ohne Not um sein Erbe bringen, nur weil Euer Mann ein wenig mehr gesündigt hat als andere?‹ frage ich. ›Und Ihr, Ihr hattet doch nicht die leiseste Ahnung. Ihr selbst seid so unschuldig wie ein neugeborenes Lämmlein. Und nun könntet Ihr gewiß eine der größten Damen Frankreichs sein. Ihr könntet reisen – nach Orleans, nach Paris – und in der elegantesten Gesellschaft verkehren. Bedenkt doch: Es gibt nichts Trostloseres als eine besitzlose Wittib, und nichts Schöneres als eine vermögende. Alles hängt davon ab, daß Ihr rasch und entschlossen handelt.‹ Sie erteilt also ihre Befehle – und schwupp! – schon ist alles geregelt.« Bruder Malachi hatte jetzt Brot und Fleisch aufgeschnitten, während der Krug die Runde machte.
»Und das könnt Ihr mir glauben, diesen dickköpfigen Bruder von Gilbert herumzubekommen, das war keineswegs so einfach«, fuhr Bruder Malachi fort und leckte sich die Finger. »Dieser Schafskopf! ›Ich sehe keinen Grund, jetzt aufzubrechen‹, sagt der doch. ›Ich werde ihnen einfach die Wahrheit sagen.‹ ›Und welche Wahrheit, bitteschön?‹ frage ich. ›Oh, daß er soviel Angst hatte, sich mir am nächsten Morgen auf dem Feld der Ehre im Einzelkampf zu stellen, daß er aus dem Fenster gesprungen ist.‹ Ich zermartere mir das Hirn. Wie kann ich mich ihm verständlich machen? Dann fällt es mir ein. ›Gewiß würdet Ihr eine Wittib nicht um ihren letzten Trost bringen wollen. Wenn sie ihn nicht in der Familiengruft beisetzen kann, wird sie sich vor Gram verzehren, und Ihr habt noch eine Sünde auf Euer Gewissen geladen. Es ist eine Ehrenpflicht, daß Ihr über seinen Tod ewiges Stillschweigen bewahrt.‹ ›Sünde?‹ sagt er und sieht auf einmal völlig verstört aus. ›Sünde. Ich muß den Papst aufsuchen.‹ ›Wie sich das trifft‹, sage ich. Mein Gott, kann der sich in etwas verrennen, wenn die Idee erst einmal in seinen Dickschädel gedrungen ist, der im übrigen leer sein dürfte. Er ist schon auf dem Weg in die Ställe und trifft Vorkehrungen. Wie er allerdings den Papst sehen will, wo es ihm sowohl an Wartezeit als auch an Bestechungsgeldern mangelt, das weiß ich auch nicht. Er scheint zu glauben, er muß nur ankommen, und schon führt man ihn hinein. Hmpf! Vielleicht geht ihm noch ein Seifensieder auf, ehe er dort ankommt.«
Es dauerte denn auch nicht lange, und die Männer der Gräfin kamen mit einer Bahre, um Gregory zu der wartenden Tragesänfte im inneren Burghof zu tragen. Er bewegte sich und stöhnte, aber er wachte nicht auf, als er in Pelzgewänder gehüllt und mit einem im Feuer erwärmten Stein an den Füßen in die Sänfte verladen wurde. Allmählich ging es mir besser, und das machte nicht nur Bruder Malachis Frühstück, sondern auch das neue Unterkleid mit Überkleid, das mir die Gräfin geschenkt hatte. Beides war recht fremdländisch im Schnitt und weit, damit ich mich weiter runden konnte. Das Unterkleid war aus schwerer, dunkelgrüner Wolle mit weiten Ärmeln und wie geschaffen für den Winter, das Überkleid aus besticktem, braunen Samt, der von Alter und Tragen so
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