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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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sich zurückfallen und schloß die Augen. Sein Bruder rüttelte ihn an der Schulter.
    »Mach die Augen auf, Gilbert. Du mußt mir zuhören!«
    »Was ist es denn dieses Mal?« Gregorys Stimme war kaum zu hören. »Mord und Totschlag. Unzucht? Hast du Hütten mit Witwen und Waisen darin dem Erdboden gleichgemacht? Alte Männer wegen versteckten Goldes gefoltert? Wo ist da der Unterschied zu dem, was jeder Soldat macht? Wende dich an Vater Drei-Ave, der bringt das für dich in Ordnung. Mit derlei Dingen kenne ich mich nicht aus.«
    »Du verstehst mich nicht.« Hugos Stimme klang verzweifelt, und er brüllte Gregory ins Ohr: »Dieses Mal ist es eine richtige Sünde. Ich habe falsch auf das Wahre Kreuz geschworen und ein Papier unterzeichnet. Ich bin verloren. Ein furchtbarer Fluch liegt auf mir.«
    »Falsch Zeugnis abgelegt? Ein Klacks für dich. Kauf dir einen Ablaßbrief. Aber das mit dem Papier – das ist ernst.« Gregory lief der Schweiß über die graue, bleiche Haut. Er hatte die Augen halb geschlossen und sprach zwischen zwei gequälten Atemzügen. Hugos Gesicht war angstvoll verzerrt. Margaret hätte ihn am liebsten dafür erwürgt, daß er Gregory so zusetzte, doch sie durfte nicht eingreifen.
    Der Traum wurde immer schlimmer. Jetzt schüttelte ihn sein Bruder, und Margaret hatte ihm die Suppe weggenommen.
    »Um was ging es auf dem Papier? Geld? Land?«
    »Ein Heiratsversprechen.«
    Gregory legte den Kopf auf die Seite und faßte sich an die Brust, und sein Atem kam in abgehackten Stößen. Margaret griff zum nächsten Handtuch. Aber nein, dieses Mal hustete er nicht. Er lachte.
    »Wer hätte gedacht, daß du einmal in diese Falle tappen würdest, Bruder«, flüsterte er. »Daraus kann dich nur der Papst befreien.«
    Hugo umklammerte verzweifelt Gregorys Schulter.
    »Der Papst? Willst du damit sagen, der Papst kann das?«
    »Natürlich«, sagte Gregory und verlor das Bewußtsein. Hugo stand abrupt auf und wanderte händeringend im Zimmer auf und ab. »Der Papst«, murmelte er. »Der Papst. Beziehungen – Geld – wie um alles –? Irgendwie. Ja. Es muß gehen –«
    Bruder Malachi saß auf dem großen Bett in der Ecke neben dem Wandschirm, derweil Hilde seine Sachen packte.
    »Hilde, mein Schatz, was meinst du, würde ich mit einem langen Bart würdiger aussehen?«
    »Sehr vornehm, Malachi, vor allem, da sich jetzt Grau hineinmischt. Sonst war er allzu rötlich, um vornehm zu wirken.«
    »Gut, ich bin froh, daß du ihn anziehend findest. Anziehend für dich, abstoßend für andere.«
    »Was meinst du damit, Malachi? Du heckst doch etwas aus.«
    »Ja, natürlich. Wenn ich meine Arbeit zu Ende bringen will, muß ich alte Schlupfwinkel aufsuchen. Schlupfwinkel, wo man sich – hmm – möglicherweise noch an meinen geistlichen Aufzug erinnert. Ich weiß nicht so recht, wie ich besser aussehe, als Lederkaufmann oder als – fällt dir etwas Ansehnlicheres ein? Flämisches Tuch vielleicht? Englische Wolle?« Er holte ein paar in ein Tuch eingeschlagene Meeresmuscheln aus seiner großen Tasche. »Bitte, sei so nett, mein Herzblatt, und nähe sie auf unsere Umhänge. Wir werden auf dem leichten Weg von Compostela zurückkehren – ohne je dort gewesen zu sein.« Er stöberte weiter und holte noch ein fest verschnürtes Bündel heraus, das er vor sich ausbreitete. »Gut – das Grün ist noch nicht verblichen. Der beste Satz, den ich je hergestellt habe. Hmm. Die Ringe sind so gut wie neu. Ja, unsere Finanzen stimmen.«
    »Aber«, fiel ihm Margaret ins Wort, »wir brechen doch nicht so bald auf. Gregory darf auf keinen Fall bewegt werden, vor allem nicht durch diese Berge.«
    »Wir dürften schneller aufbrechen, als du denkst. Ist dir aufgefallen, daß der kleine Bruder Anselm fehlt? Ich fürchte, er ist auf zum Bischof, um alles auszuplaudern, was er letzte Nacht gesehen hat. Hexerei, Mord, Selbstmord, Alchimie – ja, zweifellos steht uns der Bischof ins Haus. Wenn er es ehrlich meint, um auszumisten. Wenn nicht, um lange Finger zu machen – die Güter eines Ketzers, selbst eines Mannes, der erst nach dem Tod verdammt wird, verfallen nämlich der Kirche. Das hier ist eine recht große und verlockende Beute. Ehrlich gesagt, es würde mich nicht wundern, wenn wir bald Besuch bekämen. Schnüffler, die viele Fragen stellen – mit Hilfe von – lassen wir das, ich will dir das Herz nicht noch schwerer machen.«
    »Aber du siehst doch«, verwies ihn Mutter Hilde, die Stimme der Vernunft, »daß er wirklich nicht bewegt

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