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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Tragesänfte.«
    »Nur die – was? Und wie, mit Verlaub, willst du ihn nach Haus bekommen?«
    »Er kann reiten, wenn wir aufbrechen, weil er dann gesund ist. Wenn er erst wieder obenauf ist, wird er nur noch reiten wollen.«
    Bruder Malachi schüttelte den Kopf. »Margaret, du bist hoffnungslos, eine Träumerin, eine Irre. Das Fieber kommt und geht; er halluziniert immer noch, und wenn er bei Trost ist, bläst er derart Trübsal, daß er kein Wort redet. Und durch deine wahnwitzige Idee, ihn mit Hilfe eines Buches zu heilen, hast du nun deine letzten weltlichen Güter weggegeben. Du bist so rund wie ein kleiner Berg geworden. Findest du nicht, du hättest klugerweise Wiege und Windeln kaufen sollen.«
    »Darum müßt Ihr mir auch bei der Suche nach dem Buch helfen. Es muß genau das Richtige sein. So begreift doch. Da ist ja auch Hilde wieder, wir können also gehen.« Mutter Hilde war in der Tat mit einem Eimer Wasser zurückgekommen. Nachdem sie ihn an Gregorys Bett abgestellt hatte, fühlte sie ihm die Stirn, aber er schlief mit geschlossenen, tief eingesunkenen Augen weiter, derweil sie ein Tuch in dem kalten Wasser auswrang. Das legte sie ihm auf die Stirn und bedeutete Sim, sich neben ihn zu setzen und das Handtuch zu wechseln, wann immer es nötig wäre. Sim nickte, aber ich merkte, er verargte es uns, daß wir ausgingen und er daheimbleiben mußte.
    Der herrliche Aprilsonnenschein belebte die ganze Welt. Im Süden kommt der Frühling früh. Er ist eher wie der Sommer zu Hause. Hoch am blauen Himmel zogen weiße Wolken dahin. Die Türme des Papstpalastes schimmerten wie das leibhaftige Himmlische Jerusalem. Die engen Gassen zu Füßen des Palastes wimmelten von Obst- und Blumenverkäufern, Spaziergängern und großen Herren, wie es sie hier zuhauf gab.
    »Oh, Malachi, sieh doch nur«, rief Mutter Hilde. »Wer ist das? Der Papst?« Zwanzig Vorreiter drängten die Menge beiseite, schafften einer kunstvoll vergoldeten Tragesänfte Platz. Drinnen saß ein ältlicher Edelmann ganz in Seide gekleidet wie der Himmelskönig und roch an einer Ambrakugel, um nicht den Gestank der Straße einatmen zu müssen. Gemessen an den Jagdhunden und Pferden und dem livrierten Gesinde in seiner Begleitung sah er tatsächlich wie ein sehr hoher Herr aus. Ein halbes Dutzend dicht verhüllter Mauleselsänften und eine lange Reihe von Packeseln und Dienern aller Arten zu Fuß und zu Pferd folgten seiner bewaffneten Eskorte. Es war ein äußerst prächtiger Zug; alles stand still und gaffte.
    »Nein, das ist ein Kardinal«, sagte Bruder Malachi. »Das kann man am Wappen erkennen. Er dürfte seinen Haushalt auf sein Sommerschloß im Venaissin verlegen, jetzt wo mit der Hitze auch die Krankheit in die Stadt zurückgekehrt ist.«
    »Malachi, seht doch, Frauen.«
    »Margaret, ich hatte gedacht, du wärst unterdes so weltläufig geworden, daß dich derlei Nichtigkeiten nicht mehr entsetzten – oh, du liebe Zeit –« Bruder Malachi hatte gesehen, was auch ich gesehen hatte. Mitten in der fröhlichen Kavalkade saß in einer Mauleselsänfte mit dem Wappen des Kardinals in vergoldeter Schnitzerei eine Frau. Die Vorhänge der Sänfte waren zurückgezogen, um ihr Luft zu verschaffen. Sie war ganz blond und weiß, glitzerte von Geschmeide und hielt zwei winzige, weiße Hündchen auf dem Schoß. Hinter ihr liefen zwei kleine, schwarze Knaben mit Turban und ein halbes Dutzend Lakaien in Livree. Ich gaffte wie eine Blöde, dann lächelte ich und winkte, ich konnte einfach nicht anders. Sie wandte den Kopf – sie hatte mich gesehen, doch sie nickte nicht einmal, sondern blickte einfach geradeaus, damit alle ihr Profil und den juwelenbesetzten Kopfputz bewundern konnten. Es war Cis.
    »Nun ja«, sagte Bruder Malachi. »Die Welt ist voller Wunder. Da, Margaret. Hier kommen Pflastersteine, nimm bitte meinen Arm – du mußt zugeben, daß du letztens ausnehmend unhandlich geworden bist. Wer hätte gedacht, daß ein so schlankes, rankes Ding wie du nicht einmal mehr seine eigenen Zehen sehen könnte?«
    »Das ist in diesem Zustand eigentlich immer so, Malachi, Schatz«, bemerkte Mutter Hilde. »Du bist mit deinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen, daher ist es dir nicht früher aufgefallen.«
    »So ist es, Hilde. Auf diesem Gebiet beuge ich mich deiner höheren Weisheit. Werden alle so riesig wie unsere Margaret hier?«
    »Noch riesiger«, erwiderte sie.
    Eine Frau mit einem großen Korb Erdbeeren auf dem Kopf schob sich an uns vorbei.
    »Oh,

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