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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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lieber bei roten Löwen und einem Sortiment von Todeswerkzeugen. Beim Adel ist Alchimie nicht immer die große Mode.«
    »Schon wieder, Malachi, immer diese Ermahnungen. Mußt du mich denn immer umsorgen wie eine alte Amme?«
    »Nur wenn du dich wie ein unausstehlicher, junger Laffe aufführst.«
    »Was tust du da, Mutter Hilde?« fragte ich Mutter Hilde, die mit einem Lappen vor der Tür kniete.
    »Malachi hat beim Eintreten etwas verschüttet, das will ich aufwischen, bevor es zu fest wird. Ich möchte nicht, daß Fremde uns nachsagen, wir sind schmutzig gewesen – oh!«
    Sie hockte sich kurz auf die Hacken und betrachtete den Fleck. Meine Augen folgten ihrem Blick. Niemand außer uns war aufgefallen, daß der Fleck vor der Tür keine verschüttete Soße war. Es war ein blutiger Fußabdruck von jemand, der barfuß ging. Ich sah zu, wie Mutter Hilde ihn sorgsam aufwischte, den noch feuchten Lappen zusammenfaltete und in ihre Pilgertasche steckte.

Kapitel 13
    D er Satz hier ist trocken, Gilbert – oder sollte ich Euch auch Gregory nennen wie Margaret?« Mutter Hilde holte ein paar bunte Manuskriptseiten von der Fensterbank, wo sie, mit alten Weinflaschen beschwert, in der Sonne getrocknet hatten. Unter der Fensterbank zog sich ein Seil vom Bettpfosten drinnen bis zu dem großen Balken, der die Stiege draußen stützte, und dort flatterte die Wäsche der Reisenden wie Fähnlein im Wind. Wie so oft im Süden waren die Sonne und der blaue Himmel beinahe zu farbenprächtig, um noch geschmackvoll zu sein, aber sie machten das beengte Zimmerchen heiter und vertrieben den muffigen Geruch nach Krankheit.
    »Oh, gut, verwahrt sie bei den anderen«, antwortete Gregory, der emsig vor sich hinarbeitete und über der farbenprächtigen Darstellung einer Frau in einem Feld voller Schlangen gebückt saß. »Bei Margaret ist das die Macht der Gewohnheit, sie will nicht von dem Namen ablassen – hm, das könnte ein Wortspiel werden, ich muß nur noch etwas daran feilen – und da ich keine Macht über sie habe, hat sie auch nicht von der Gewohnheit abgelassen. Nein, noch besser, ich habe Ablaß erhalten und sie die Macht. Merkt Ihr etwas? Meine Geister regen sich wieder, wenngleich langsam. Aber nennt mich, wie Ihr wollt, Mutter Hilde.«
    »Dann will ich Euch Gilbert nennen wie Malachi. Er sagt, unter dem Namen hat er Euch gekannt, als Ihr in Paris studiert habt.«
    »Also, das finde ich nicht ganz gerecht, wo ich mich so sehr vorsehe, mich nicht zu verplappern und ihn Theophilus zu nennen.« Gregorys Stimme klang übertrieben gekränkt. Dann drehte er sich zu Margaret um, die sich mit ihrer Feder abmühte, die Zeilen mit den Krakeln aus Malachis Buch zu kopieren. »Margaret, wie steht es mit den nächsten Seiten? Das Bild hier ist fast fertig.«
    Margaret hielt die Seite hoch und drehte und wendete sie im Licht, damit sie die Wirkung genießen konnte. Die war durchaus geheimnisvoll und kam dem Original ganz erstaunlich nahe, wenn man von ein paar Kleinigkeiten absah.
    »Da sind sie«, verkündete sie fröhlich. Sie war so zufrieden, wie es Hochschwangere oftmals sind. Das Kleine kugelte sich jetzt auch nicht mehr – dazu fehlte der Platz. Aber sie sah, wie sich ihr riesiger Leib unter ihrem Gewand bewegte, während das Kleine vor Freude zappelte, wenn sie ihm bei sich erzählte, Kleines, es geht nach Hause. Und in großem Stil obendrein, dank Bruder Malachis hellem Kopf. »Sieh sie dir an. Sehen die nicht hübsch aus? Wieviele Bücher haben wir jetzt insgesamt?«
    »Sechs«, sagte Mutter Hilde und zählte die Seiten so stolz wie eine Glucke die Eier in ihrem Nest. »Es dürften sieben werden. Das ist eine Glückszahl.« Sie lugte erneut aus dem Fenster. »Ei, und nicht nur die Wäsche ist trocken, sondern da unten kommen auch Malachi und Sim in den Hof, und sie sehen sehr zufrieden mit sich aus. Fürwahr, ist es nicht herrlich, wie schnell die heiße Sonne in diesem gesegneten Klima die Wäsche trocknet? Wie soll ich überhaupt noch in Feuchtigkeit und Kälte zurechtkommen?«
    »Allerbeste Nachrichten!« platzte Bruder Malachi ins Zimmer und in die emsige Werkstatt. »Einen Kunden habe ich schon an der Angel. Ein Meisterstück. Ich vergoß Tränen, die ich mir heimlich abwischte. ›Mein kostbarster Schatz‹, so sagte ich. ›Nie würde ich mich von ihm trennen, wenn mir das Wasser nicht bis zum Hals stünde.‹ Oh, ich war gut. Sim hat meinen Sohn gespielt. Der Junge ist begabt. Ja, begabt! Ach, wenn ich doch nur einen so

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