Die Vision
begleitet, weil sie von vornherein wußte, daß ich es allein nicht schaffen konnte.
»Weiter pressen, Margaret. Den Kopf haben wir schon fast. Gilbert! Würdet Ihr freundlicherweise wegschauen? Das ist Frauensache, nichts für Ehemänner. Wenn Ihr neugierig seid, seht es Euch in einem Buch an.« Die Anstrengung war groß, größer als ich sie irgendwie in Erinnerung hatte, denn Gott läßt uns jedes Mal wieder die Mühen vergessen, damit wir uns nicht vor dem nächsten Mal fürchten. Aber die ganze Zeit den Mund zu halten – das war eine Qual. Da fühlte ich, wie jemand meine Hand ergriff. Seine Hand. Das durfte nicht sein, ich wußte es, und es gehörte sich ganz und gar nicht. Wieviele Male hatten Hilde und ich die Männer schon aus dem Wochenzimmer ausgesperrt? Jedermann weiß doch, daß ein Mann, der seine Frau beim Gebären sieht, sie nicht mehr lieben kann.
»Das ist – also, wenn Ihr schon dabeisein müßt, dann setzt Euch wenigstens neben sie und schaut in die andere Richtung. Es gehört sich nicht, mir bei der Arbeit zuzusehen«, schimpfte Mutter Hilde. Er setzte sich anders hin, meine Hand ließ er jedoch nicht los. Sein Gesicht zeichnete sich vor dem Himmel ab, ganz verschattet war es vor Sorge, und sein dunkles Haar wehte vor dem Lichtkreis der Sonne. Er musterte mein Gesicht eingehend. Dann beugte er sich vor und ergriff auch noch die andere Hand. Ich umklammerte beide und zog mich hoch.
»Gut so«, sagte Mutter Hilde. »Weiter so.« Gregory sah so entgeistert aus, daß ich schon etwas ganz Schnippisches über den männlichen Teil der Menschheit sagen wollte, doch da ging mir jählings auf, was mit ihm los war. Er dachte, ich müßte sterben.
»Halt meine Hand fester, Gregory – so ist das immer – keine Bange – ich bin stark – ich schaffe das schon –« Und so machte ich ihm zwischen Keuchen und Stöhnen Mut. Er sagte kein einziges Wort, hielt mich mit seiner ganzen Kraft, so als wollte er mir davon abgeben. Und er gab mir Kraft. Bei jeder neuen Wehe fühlte ich, wie ich aus ihr schöpfte.
»Tut mir leid«, flüsterte ich. Die Haare klebten mir schweißig im Gesicht, und ich hatte jeglichen Sinn für Anstand verloren. »Jetzt findest du mich nie wieder hübsch.«
Er fand seine Stimme wieder. »Ich werde dich immer lieben, Margaret. Immer. Was auch geschieht. Und – und du bist immer noch hübsch.« Du ritterlicher Lügner, dachte ich.
»Ei, wer hätte das gedacht, Margaret. Dieses Mal hast du einen Jungen. Sir Gilbert, ein Sohn und Erbe. Und gleich beim ersten Mal. Habt ihr ein Glück.« Hilde hielt den Kleinen an den Fersen hoch, bis sein Greinen kundtat, daß er atmete. Gregory wandte den Kopf, um ihn anzuschauen. Nie werde ich seinen entsetzten Blick vergessen.
»Das –« stammelte er. »Soll er wirklich so aussehen? Ist das normal?«
»Aber ja doch. Ihr habt bei Eurer Geburt ganz genauso ausgesehen.« Mutter Hilde wischte den Kleinen ab, so gut es mit dem Tuch ging, das sie mit Wasser aus ihrer Flasche befeuchtet hatte. Sie entband die Nachgeburt und schnitt die Nabelschnur durch. Gregory wirkte wie gelähmt.
»Da, sieh dir das an, Margaret«, sagte Mutter Hilde und streckte mir den nackten Kleinen hin. Seine mageren, roten Ärmchen und Beinchen bewegten sich ziellos. Ich sah sofort, was sie meinte. Abgetrocknet sah das flaumige Haar ganz bräunlich aus und stand in alle Richtungen ab wie der häßliche Flaum eines kleinen Schwans. Der Kleine wirkte ungeheuer entsetzt. Sein Mündchen arbeitete, und er hatte die Augen weit aufgerissen, so als staunte er. Zweifellos das merkwürdigste, komischste Kindergesichtchen, das ich meiner Lebtage gesehen hatte. Oh, wie liebte ich ihn!
»Tu nicht so erstaunt. Die Idee, jetzt geboren zu werden, die stammt doch von dir«, schimpfte ich ihn aus. Dann hielt ihn Mutter Hilde neben Gregorys Gesicht, daß er ihn besser anschauen konnte. Ich sah, wie seine Augen Gregorys Miene musterten. Viele Leute halten Säuglinge für so blind wie Katzenjunge, doch wenn sie das sind, warum haben sie dann nicht die Augen zu wie junge Katzen? Ich glaube, sie können sehen, weil man merkt, daß sie sehen, und weil nicht einmal Säuglinge dumm sind. Die beiden blickten sich mit großen Augen an, Vater und Sohn, und ihre Mienen spiegelten äußerstes Erstaunen wider. Beide Augenpaare wurden groß, beiden fiel die Kinnlade auf die gleiche Weise herunter. So etwas Komisches habe ich meiner Lebtage nicht wieder gesehen. Ich konnte nicht anders. Und wenn es noch so
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