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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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wehtat, ich mußte einfach lachen. Ich wollte es unterdrücken und hustete dabei ein wenig, was die armen, lockeren Muskeln in meinem Bauch durchschüttelte wie Wellen im Meer.
    »Du lachst auch noch?« Gregory traute seinen Ohren nicht. »Über deinen eigenen Sohn?« Er hatte etwas unendlich Rührendes, wie er sich für das winzige Wesen gegen eine eingebildete Beleidigung in die Bresche warf.
    »In meinem ganzen Leben habe ich keinen komischeren Säugling gesehen. Gib ihn mir, Mutter Hilde, ich will ihn anlegen, ehe er anfängt zu greinen.« Und als der Kleine zu saugen anfing und dabei recht kräftige Schluck- und Schmatzlaute machte, mußte ich schon wieder lachen, während Gregory sich entsetzte und mit großen Augen sagte: »Ist der aber gierig.«
    »Das mußt du gerade sagen«, gab ich schläfrig zurück, denn auf einmal war ich sehr müde, »wo du selber so zuschlagen kannst.«
    »So aber nicht«, sagte er, als der Kleine nach einem mächtigen Rülpser einschlief.
    »Margaret, er muß getauft werden«, mahnte Mutter Hilde.
    »Das mache ich«, antwortete Gregory und sah auf einmal sehr selbstgefällig aus. »Mir ist gerade ein guter Name eingefallen.«
    »Kennt Ihr die Formel für Nottaufen?« Mutter Hilde gab immer auf alles acht. Es tut nicht gut, wenn man zu solchen Zeiten einen Fehler macht, denn schließlich geht es um eine Seele.
    »Natürlich. Darin war ich eine Art Fachmann, wie Ihr Euch vielleicht entsinnt«, sagte Gregory. Und ehe ich auch noch aufbegehren konnte, hatte er schon seinen Bruder und Malachi als Zeugen geholt und dem schlafenden Kleinen Wasser aus dem Wasserschlauch an seinem Sattel auf den Kopf gespritzt.
    »Peregrinus, ich taufe dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.«
    Vor Schreck fielen mir fast die Augen aus dem Kopf, doch da waren sie auch schon beim Vaterunser angelangt. Es war nicht mehr zu ändern.
    »Wie hast du den Kleinen genannt?« sagte ich mit wachsendem Argwohn.
    »Der Name paßt wunderbar, in Anbetracht der Umstände. Peregrin.« Gregory wirkte so gönnerhaft, als hätte er dem Kleinen eine große Wohltat erwiesen.
    »Peregrin? Was für ein Heiliger ist das?« Ich war entgeistert. Zumindest hätte er mich vorher fragen können.
    »Das ist Latein und bedeutet Pilger – Reisender – oder Wanderer«, sagte Bruder Malachi, der den Namen anscheinend auch ungemein passend fand.
    »Peregrin? Du hast mein schönes Kindchen Peregrin genannt? Nicht nach einem Evangelisten oder einem Heiligen oder einfach nach einem heiligen Märtyrer?«
    »Fürwahr, Margaret, er paßt einfach wunderbar«, strahlte Gregory. »Du mußt doch zugeben, daß nur wenige Säuglinge vor ihrer Geburt soviel herumgekommen sind – oder noch mehr herumkommen werden, ehe sie zu Hause sind.«
    »Gar nicht so übel«, meinte Hugo. »Ganz und gar nicht übel, außer daß man ihn lieber nach einem Helden hätte nennen sollen – sagen wir, Oliver oder Floris oder vielleicht Gawain.«
    »Oh, noch schlimmer. Alle von einem Stamm, die ganze Familie. Der Name eines Heiligen paßt immer gut.« Eine Verschwörung, ja, darum handelte es sich. Eine männliche Verschwörung.
    »Wie auch immer, wir sollten lieber aufbrechen. Wir müssen die anderen einholen.«
    »Einholen, Hugo? Glaubt Ihr wirklich, ich könnte in diesem Zustand reiten? Das ist, als würde man auf einem Furunkel sitzen. Außerdem bin ich entsetzlich müde.«
    »Sir Hugo, in diesem Zustand darf eine Frau nicht bewegt werden. Sonst blutet sie zu stark.«
    »Wir werden alle noch viel stärker bluten, wenn wir die anderen nicht einholen. Aber ich gebe ihr Zeit bis morgen. Wir stellen eine Wache auf und lagern hier, ohne Feuer zu machen. Aber morgen sitzt sie auf einem Pferd, Zustand hin, Zustand her.«
    Mir galt es gleichviel. Morgen lag in weiter Ferne. Ich schlief mit dem Kleinen im Arm ein und merkte nicht einmal mehr, wer mich am Abend auf ein Bett aus Zweigen legte. Irgendwann wachte ich im Dunkeln auf, weil der Kleine sich rührte, und stillte ihn unter dem Sternenzelt. Mir war, als hörte ich in der Ferne etwas. Getöse. Irgend etwas Schlimmes. Aber es mochte auch Einbildung sein.
    Am nächsten Morgen waren wir in aller Herrgottsfrühe reisefertig. Ein Brunnen, halb voll Schutt, hatte genug Wasser gespendet, daß wir den größten Schmutz des vergangenen Abends auswaschen konnten, und ich sah einen nassen Umhang hinter Gregorys Sattel hängen, als er mich auf die kleine Stute hob und mir Peregrin hochreichte. Ich war zu

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