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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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konnten Hugo glücklich machen: Wie beispielsweise seine Füße im Steigbügel wirkten, wo über dem Kettenhemd des Pferdes hell strahlende Beinschienen prangten. Ich sah, wie er sie ausstreckte und sie beim Aufsteigen bewunderte, und sah ihn damit ein wenig wackeln, nur damit er sich so richtig an dem Klirren von teurem Metall auf Metall erfreuen konnte. Dann sein dümmliches Lächeln, wenn er sich ein Sträußchen unter die Nase hielt, es sich dann keß hinters Ohr steckte und sich verzog, um einer gleichermaßen dümmlichen Frau den Hof zu machen. Und die Art, wie zuweilen das Licht durch ein Buntglasfenster beim Gebet genau in dem Augenblick auf sein nach oben gerichtetes Gesicht fiel, wenn er seinem Schöpfer dankte, daß er ihn zum Abbild eines preux chevalier gemacht hatte. Für ihn war alles gut, und nie stellte er etwas in Frage.
    Gregory, der hinter ihm ritt und den runden Schild und die Sturmhaube an den Sattelknopf gehängt hatte, sah bleich und mißmutig aus. Er hatte sich drei Tage lang vollaufen lassen, und jetzt schienen sogar die Vögel, die am Straßenrand zwitscherten, zu merken, daß er furchtbare Kopfschmerzen hatte, denn wenn er vorbeiritt, verdoppelten sie ihre Anstrengungen, und er verzog dabei das Gesicht.
    »Was erwartest du eigentlich, wo ich seitenweise Lobhudeleien über diesen verfluchten, wohlriechenden Psalmendudler zu Papier bringen mußte?« fauchte er mich an jenem Morgen an, als er seine Rüstung hinter sich auf den Sattel band. »Mit Sicherheit hätte ich das nüchtern nicht geschafft.«
    »Du hast alles schon geschrieben?« fragte ich.
    »Natürlich«, erwiderte er und ruckte so gemein am Sattelgurt, daß sein Pferd erschrak und die Luft ausstieß, mit der es sich aufgeblasen hatte. »Das gehörte doch zu der Abmachung. Ich mußte auf eine ganze Tonne von Reliquien schwören, und er wollte vor meinem Aufbruch die Rohfassung sehen. Die hat er dann auch noch am Rande verbessert, o ja. Hat noch eine ganze Menge hinzugefügt, wie er trotz seiner äußerlichen Pracht ein bescheidener und demütiger Mensch geblieben ist. Pa! Herrgott noch mal, mein Kopf – er fühlt sich an, als hätten ihn Teufel angenagt.«
    »Ich helfe dir nicht.«
    »Habe ich dich etwa darum gebeten?« fuhr er mich an und machte auf dem Hacken kehrt.
    Und so ritt ich natürlich neben Bruder Malachi und Mutter Hilde, wo ich mit besser Gelaunten plaudern konnte.
    »So geht es Menschen mit einem hellen Kopf«, sagte ich. »Die haben Probleme, von denen dumme Leute nicht einmal träumen. Könnt ihr euch vorstellen, daß sich Hugo um »historische Genauigkeit« Sorgen macht? Ei, der hat es ja noch nicht einmal bis zu »künstlerischer Integrität« gebracht!« Ich rollte Gregorys geschwollene Worte genauso, wie er sie aussprechen würde.
    »Ich habe schon immer geahnt, daß Gilbert seinen Meister gefunden hat, als er sich mit dir einließ, Margaret«, verkündete Malachi fröhlich.
    »Etwas will mir nicht in den Kopf, Malachi. Warum hat der Abt diesen hübschen Zelter gegen die kleine Stute mit dem unebenen Gang eingetauscht? Ich glaube kein Wort von dem ganzen aufgeblasenen Gerede, das er von sich gegeben hat.«
    »Ach, ich weiß nicht«, antwortete Bruder Malachi und blickte in die Ferne. Mutter Hilde, die hinter ihm ritt und die Arme um seine Mitte geschlungen hatte, unterdrückte ein Lächeln. Aber zu spät, ich hatte es gesehen.
    »Mutter Hilde, du weißt etwas«, bezichtigte ich sie.
    »Das muß dir Malachi und kein anderer sagen«, gab sie zurück und wirkte dabei sehr zufrieden.
    »Na, schon gut.« Seine mürrische Zurückhaltung war nur gespielt. Mir war klar, daß er nur so darauf brannte, alles auszuplaudern. »Margaret, liebes Mädchen«, brummelte er heiter, »allem Anschein nach war ein gewisser, heiliger Beichtvater, deiner übrigens, so überwältigt von den guten Werken des Abtes und seiner offenkundigen Frömmigkeit, daß er zu der Überzeugung gelangte, nur das Kloster St. Michel Archange sei der angemessene Aufbewahrungsort für einen seltenen Schatz, den man ihm unter dem Siegel strengster Verschwiegenheit anvertraut hatte.«
    »Und welcher Schatz genau war das?« Die Saat des Argwohns war bereits aufgegangen.
    »Fünf große, vollendet zusammenpassende Smaragde aus der Krone der Königin von Saba höchstpersönlich, die ein gewisser Abraham, der Jude, mir auf dem Totenbett anvertraute – natürlich als Dank dafür, daß ich ihn im christlichen Glauben unterwiesen hatte –, in welchem Glauben er

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