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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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auch dahinschied. Mögen Engelscharen ihn zur Ruhe singen. Halleluja! Soviel ich weiß, wollen sie einen sehr prächtigen Schrein bauen.«
    Soviel Frechheit, selbst bei Bruder Malachi, entsetzte mich denn doch. Ich machte große Augen und legte die Hand auf den Mund. Er sah äußerst selbstzufrieden aus. Dann dachte ich ein wenig nach.
    »Aber, Bruder Malachi, was machen die Mönche wohl, wenn sie verblassen?«
    »Ei, die suchen sich einen anderen Alchimisten, der sie wieder ins Tauchbad legt – wenn sie vernünftig sind. Doch bis dann dürften sie den Preis für die Stute durch vermehrte Opfergaben längst wieder hereingeholt haben. Und vergiß nicht, sie war ein gutes Geschäft. O ja – ich betrüge nie. Außerdem war es für einen guten Zweck.«
    »Ich höre euch dahinten lachen. Ihr redet über mich. Schluß damit, ja? Ich habe die Nase gestrichen voll.« Gregory hatte sich im Sattel umgedreht und schimpfte mit uns. Natürlich galt das nicht Hugo vor ihm. Der sang so fröhlich wie eine Lerche eine seiner eigenen Schöpfungen. Ich habe es wohl noch nicht erwähnt, aber Hugo singt auch noch falsch.
    »Gilbert, schon der weise Cato hat gesagt, ein argwöhnischer Mensch denkt immer, man redet über ihn«, gab Bruder Malachi zurück.
    »Ich glaube nicht, daß ich die Stelle kenne. Ihr lacht mich aus.« Er legte die Hand auf den Kopf, um dem Hämmern Einhalt zu gebieten, das sein Geschimpfe ausgelöst hatte.
    »Wenn wir die Pferde wieder tränken, mußt du wirklich etwas gegen Gilberts Kopfschmerzen tun, Margaret. Das verlange ich, ja, ich flehe dich an. Er ist einfach unausstehlich«, sagte Malachi laut und übertrieben vertraulich.
    »Da haben wir's. Ihr redet also doch über mich«, kam es gequält von vorn.
    »Freilich rede ich über dich, Gilbert. Ich habe gesagt, daß du der dickköpfigste junge Mann aus meiner ganzen Bekanntschaft bist – sogar noch dickköpfiger als unsere Margaret hier.« Gregory wandte ein wenig den Kopf, damit er ja alles mitbekam, aber er weigerte sich, uns eines Blickes zu würdigen. »Wer sonst«, fuhr Bruder Malachi fort, »würde wohl, nachdem er uns alle auf Kosten seiner intellektuellen Integrität gerettet hat, vor uns in einer wahren Wolke störrischer Überheblichkeit und Selbstmitleides einherziehen, anstatt mitten unter uns zu reiten und sich in unserer Bewunderung und Dankbarkeit zu sonnen.« Gregorys Pferd verlangsamte das Tempo. Als wir ihn einholten, sagte Malachi fest: »Gilbert, du gestattest Margaret jetzt, daß sie etwas für deinen Kopf tut, und wirst wieder Mitglied der menschlichen Rasse.«
    Vor uns brach Hugo in Jubelgeschrei aus. Endlich war es ihm gelungen, hirondelle auf immortelle zu reimen.

    Nach Brabant zu gelangen, war durchaus nicht so einfach, wie es die Weiße Dame hingestellt hatte, doch viel schwieriger auch nicht. Und Dame Bertrandes Schwester empfing uns tatsächlich mit großer Herzlichkeit. Als sie hörte, wer am Tor Einlaß begehrte, rannte sie höchstpersönlich den ganzen Weg zum Torhaus, damit sie uns mit offenen Armen aufnehmen und begrüßen konnte. Erst ließ sie unsere Pferde in den Stall führen, dann legte sie eine Pause ein, warf vor Staunen und Freude die Hände hoch und musterte uns allesamt.
    »Ei! Dieser prächtige Ritter ist der kleine Hugo, den ich erst einmal im Leben gesehen habe! Wie groß du geworden bist! Das genaue Abbild eines preux chevalier !« Hugo reckte das Kinn, er wollte wohl noch markiger aussehen. »Und dieser schöne, junge Mann ist Euer Knappe? Habt acht, junger Herr, ich habe viele bezaubernde pucelles , denen dürft Ihr nicht das Herz brechen!« Robert errötete kleidsam. Sie war gar nicht zu verkennen, da sie ihrer Schwester recht ähnlich sah, nur nicht so groß, dafür aber rundlicher. Und natürlich älter, denn Madame Belle-mere war schon viele Jahre tot. Als dann die Reihe an Gregory kam, brach sie in Tränen aus.
    »Ihre Nase! Ja! Genau ihre Nase. Wer hätte gedacht, daß ich die noch einmal sehen würde.« Gregory blickte entgeistert und faßte unwillkürlich nach dem Stein des Anstoßes.. »Nicht zu fassen, der Sohn, den ich nie gesehen habe, und da ist sie, ihre Nase, ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Meine arme, liebe, tote Schwester!« Und dann nahm sie den lang herunterhängenden Ärmel ihres Unterkleides, betupfte sich zierlich die Augen und schniefte: »Ihr Haar hast du auch. Das wollte nie glatt anliegen. Sie konnte es nicht ausstehen.« Gregorys Hand fuhr von der Nase zu den ungebärdigen

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