Die Vision
auch nicht mehr. Hast du eine Ahnung, wie lange ich gebraucht habe, um mir diesen Rausch anzutrinken? Jetzt bin ich nüchtern wie ein Stock und liege da, und all meine Probleme fallen wieder über mich her. Du kannst mir glauben, die Schmerzen waren leichter zu ertragen! Ich habe meine Schmerzen gemocht! Und wenn sich je ein Mann seinen Rausch verdient hat, dann ich heute! Insbesondere heute! Nach allem, was mir bereits zugestoßen ist, stellt sich auch noch heraus, ich bin mit einer Frau verheiratet, die im Dunkeln leuchtet wie ein phosphoreszierender, alter Knochen! Was wird Vater dazu sagen? Was werden meine Freunde sagen, vor allem die, welche wissen, wie ich mich der Kontemplation gewidmet habe? Die lachen sich doch tot! Ei, ei, da geht Ex-Bruder Gregory, der Gott sehen wollte, statt dessen die Gnade verwirkte, und das wegen einer Frau, die leuchtet. Was tut er jetzt? Ei, der hat sich eine Ritterwürde gekauft und lebt von ihrem Geld! Wie steht es mit der Heiligkeit, ›Bruder‹ Gregory? Mein Gott! Ich traue mich nicht mehr nach Haus!«
Ich holte die Karaffe mit dem Würzwein vom Tisch. Sie war noch fast voll. »Da«, sagte ich und drückte sie ihm in die Hand. »Trink aus, du Undankbarer.«
Er lehnte den Kopf an die Wand und trank. Das Gluckgluck war im Dunkeln zu hören.
»Gut, aber nicht genug«, sagte er, und ich spürte seinen funkelndbösen Blick. Ich durchsuchte das Zimmer und tastete nach weiteren Krügen, verschiedenen Sorten von Rot- und Weißwein, die Hilde und ich nicht angerührt hatten.
»Trink die auch noch«, flüsterte ich wutentbrannt. »Und wenn du fertig bist, dann mach, daß du wieder aus dem Fenster kommst, du Schlange.« Es gluckste erneut, und dann hörte ich, wie der halb geleerte Krug abgesetzt wurde.
»Margaret«, sagte er, jetzt wieder mit undeutlicher Stimme. »Du siehst wunderschön aus, wenn du leuchtest.« Und dann hörte ich ihn beim Aufstehen stolpern. Er stieß die Fensterläden auf, und sein Lockenkopf zeichnete sich vor dem Sternenhimmel ab.
»Faß das aber nicht als Zustimmung auf«, sagte er, schob die Beine über die Fensterbank und ließ sich auf die Erde fallen.
»Geht es dir besser?« hörte ich Malachi draußen fragen.
»Schlechter«, sagte er, als ich die Läden schloß.
»Ooooooh! Männer!« Wütend stapfte ich über die kalten Fliesen und ließ mich wieder ins Bett fallen.
»Was hattest denn du erwartet?« sagte Mutter Hilde.
»Dann bist du die ganze Zeit wach gewesen? Du hast alles mitbekommen?«
»Natürlich. Das war nicht zu vermeiden. Lichter! Stimmen! Davon werden ja Tote wach – nein, das nehme ich zurück –, nur das Mädchen nicht, das dir angeblich hilft.«
Ich saß ganz zusammengekrümmt im Bett und drückte Knie und Kümmernisse fest an mich. »Wie konnte er nur so gräßlich sein? Kannst du mir das beantworten? Einfach nicht zu fassen, daß er so ekelhaft gewesen ist!« Und ich fing vor Wut an zu weinen.
»Ach, Margaret, du bist noch so blutjung«, seufzte Mutter Hilde und tätschelte mir die Schulter.
»Was meinst du damit? Wo ich doch alles für ihn getan und erlitten habe.« Ich hatte mich umgedreht und näßte das Kissen mit meinen Zornestränen.
»Margaret, du dummes, dummes Gänschen. Begreifst du denn nicht, daß er auch gern leuchten möchte?«
Kapitel 14
W ir brachen erst drei Tage später auf, und das in großem Stil. Unsere Pferde waren rund und ausgeruht, und ich trug nicht nur ein Körbchen mit einem kleinen Sonnenschutz aus Leinen darüber hinter mir auf den Sattel gebunden, sondern ritt auf dem hübschesten kleinen Zelter, den man je gesehen hatte. Ganz sahnefarben und mit einem Gang so sanft wie Seide, daß er mir unterwegs den Kleinen nicht aufweckte. Wir waren neu eingekleidet, Gregory und ich, aber dafür hatten wir bezahlt. Ein Waffenrock läßt sich schwerlich wieder zusammenflicken, wenn man ihn einem Menschen von Kopf bis Fuß vom Leib geschnitten hat, und auch mein Kleid war unwiderruflich dahin. Vielleicht hätte man es neu zuschneiden und die Flecke herausschneiden können, aber diese Arbeit wollte ich mir nicht aufbürden.
Hugo führte den Trupp an, Robert zur Seite, und beide in voller Rüstung, denn wer wußte, was uns unterwegs alles zustoßen konnte? Er strahlte diese gewisse Selbstzufriedenheit aus, die ihn immer umgab, wenn seine Rüstung frisch geputzt war und sein Wimpel von der Lanzenspitze flatterte. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß Dummheit auch ihre Vorzüge hat. Nichtigkeiten
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