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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Mönche als Hilfe für eine junge Mutter aussuchen würden.
    »Lion?« Ich fuhr jählings hoch. »Aber wir sind doch noch nicht zu Hause – wer ist da?« flüsterte ich. Mutter Hilde öffnete ein Auge.
    »Ich würde mich doch sehr wundern, wenn das nicht dein Mann wäre«, sagte sie und machte es sich sofort zunutze, daß ich aufstehen mußte, zog die ganze Decke zu sich herüber und schlief wieder ein.
    »Gregory? Bist du das?« flüsterte ich.
    »Natürlich. Mach die Läden auf«, flüsterte es zurück.
    »Warum bist du nicht eher gekommen?« fragte ich, während ich die hohen Läden öffnete und in die Dunkelheit spähte. »Mir haben sie gesagt, daß sie dir zu Ehren ein Fest geben und daß du mich nicht sehen willst, und da habe ich einen Wutanfall bekommen, und sie haben mir diese ganzen Sachen gebracht. Da war ich überzeugt, daß es dir gutgeht. Komm herein, du fehlst mir so.« Ich konnte ihn im Dunkeln, wo er zwischen Malachi und Hugo stand, so eben ausmachen.
    »Das geht nicht. Der Mond scheint zu hell. Wir sind im Schatten der Kirchenmauer gekommen, damit man uns nicht sieht. Die Pforte zu deinem Garten haben sie so angelegt, daß sie von den Schlafsaalfenstern aus einzusehen ist. Aber das Fenster hier liegt um die Ecke herum und im Schatten.«
    »Dann klettere durchs Fenster.«
    »Geht nicht. Sie haben mich heute nachmittag auf die Streckbank gelegt – sagen wir, die ersten Grade der Befragung angewendet. Jetzt tun mir alle Knochen im Leib weh.«
    »Oh, diese Lügner, diese Verräter! Und mir haben sie gesagt, es geht dir gut.« Nun merkte ich auch, daß Hugo und Bruder Malachi, die neben ihm standen, ihn aufrecht halten mußten. »Und betrunken bist du auch, ja?«
    »Betrunken wie ein König – nein, betrunken wie ein Kaiser. Das macht es etwas besser. Aber nur keinen Aufstand, ich soll es vor dir geheimhalten.«
    »Ja, wir mußten sogar schwören«, sagte Hugo. Er war kaum noch der Sprache mächtig und schwankte selber so sehr, daß er sich nur mit Mühe auf den Beinen hielt.
    »So macht die Kirche es immer, wenn sie foltert«, hickste Bruder Malachi. »Aber sie haben sich wirklich anständig entschuldigt, also mach im Nachhinein keinen Wind mehr. Wer gibt schon gern einen Fehler zu. Da ist es einfacher, die Beweise zu vernichten.«
    »Das ist gräßlich, einfach gräßlich! Und ich soll dazu den Mund halten?«
    »Unbedingt«, hörte ich Gregory sagen, als ich mich aus dem Fenster beugte.
    »Malachi«, flüsterte ich zu ihnen ins Dunkel hinunter. »Ihr und Hugo schiebt ihn auf der Stelle durchs Fenster. Meine Kräfte sind zurückgekehrt, und damit auch meine Gabe.«
    »Gabe, welche Gabe? Dummes Zeug!« hörte ich Hugo sagen.
    Aber Malachi gebot ihm nur: »Haltet den Mund und schiebt, Ihr werdet Euer blaues Wunder erleben.« Gregory fiel als formloses, stöhnendes Bündel durchs Fenster. Ich streckte ihn aus und machte mich an die Arbeit, tastete seine Gelenke ab, berührte sie aber kaum. Ich fühlte Wärme, wie sie von Verletzungen ausstrahlt.
    »Nicht allzu schlimm«, sagte ich bei mir.
    »Margaret, was machst du da?« fragte er, während ich mir die Hände warm rieb und meinen Geist in den Zustand versetzte, welcher der Gabe förderlich ist.
    »Ich heile deine Gelenke, so wie ich früher Master Kendalls Gicht geheilt habe.«
    »Quatsch«, sagte er mit schwerer Zunge. »Wenn du nicht abläßt von diesen Phantastereien, wirst du noch ganz verrückt, und was wird dann aus mir?«
    »Psst, du, ich arbeite.« Jetzt hatte ich den richtigen Zustand erreicht. Das vertraute, hellrote Licht begann in den Ecken des Raumes zu leuchten. Im Dunkeln schien es natürlich sehr hell. Dann loderte es ringsum auf, warm, tröstlich, heilend.
    »Da bist du ja wieder«, sagte ich zu ihm, als die Hitze mir das Rückgrat hochlief und das Zimmer in liebliche Helligkeit tauchte. »Danke.« Mit halbem Auge bekam ich mit, daß Malachi von außen die Läden schloß, während Hugo etwas vor sich hinbrummelte. Ich spürte Gregorys Blick. Das sanfte Licht hüllte mich ganz ein. Wie könnte ich wohl an Gottes Güte zweifeln, wenn es bei mir ist und mich umgibt wie ein lebendiger Umhang? Ich legte meine Hände auf jede Stelle, dann setzte ich mich auf die Hacken und spürte, wie das Leuchten nachließ und sein liebliches Licht allmählich verblaßte.
    »Margaret«, sagte er. »Es tut nicht mehr weh. Du hast mich geheilt.« Ich hörte, wie er sich bewegte und sich im Dunkeln abtastete. »Du hast mich geheilt – und betrunken bin ich

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