Die Vision
Aristoteles auch beim Anfang der Welt angefangen?« fragte ich. Er lächelte.
»Ach Margaret. Du Dummerchen, du liebes Dummerchen. Aristoteles hat keine Chroniken geschrieben. Aber ich versichere dir, er hat immer beim Anfang angefangen.«
Wieder einmal geschlagen. Aber es gab auch gewisse Vorteile. Ich lag dann wohl mit offenen Augen im Bett und wartete auf ihn, weil ich ohne ihn nicht einschlafen konnte. Und wenn ich die auf- und abtanzende Kerze durch das Dunkel kommen sah, während er sich mühsam um die Hunde herum den Weg zum Bett suchte, dann jauchzte ich innerlich, weil alle anderen tief und fest schliefen. Denn dann, ach, nur dann, setzten wir das wonnigliche Dunkel in Brand.
Aber unsere gemeinsame Zeit war allzu kurz, und je näher die Abschiedsstunde rückte, desto fieberhafter wurden wir, so als sollten wir uns in diesem Leben nie wiedersehen. Und immer mehr wurde uns bewußt, was wir alles zu verlieren hatten; und doch hielt uns etwas davon ab, es laut auszusprechen, möglicherweise die Angst, daß es dann eintreten würde. In dieser turbulenten Zeit geriet sogar der Anfang der Welt in Vergessenheit. Nur eine eiserne Gesundheit bewahrte Sir Hubert und seine Nachbarn vor dem Zusammenbruch, sonst hätten sie die Folgen von Gastmählern, die zu jedem Ausmarsch gehörten und immer im Vollrausch endeten, nicht überlebt. Unter der Stiege und in den Schlafkammern im Turm ging es auch hoch her, denn welche Frau könnte einen Helden, der vielleicht nicht wiederkehrt, zu solchen Zeiten etwas abschlagen?
»Also, Margaret, wir reiten nach Dover, kampieren dort, bis Männer und Pferde gemustert sind, und dann geht es über das Wasser auf zur Normandie und zu Ruhm und Ehre.« Ich saß mit einer Flickarbeit in der Fensterbank im Söller, während Gregory mir alles erklärte, nur um mir die Furcht zu nehmen; nichts leichter als das, behauptete er. Er hatte auf der Bank gegenüber mehrere Bündel ausgebreitet und ging deren Inhalt durch. Die Mädchen hörten ausnahmsweise einmal schweigend zu.
»Ihr mustert Pferde an? Werden die etwa auch bezahlt?«
»Nein, das nicht. Nur die Männer – und ich möchte hinzufügen, daß sich mein Sold seit meinem Ritterschlag beträchtlich erhöht hat. Lediglich der Wert jedes Pferdes, das wir mitbringen, wird vermerkt, damit man uns, falls wir es verlieren, entschädigen kann.«
»Und wer entschädigt mich, wenn ich dich verliere?«
»Sei nicht albern, Margaret. Ich bin doch kein Pferd. Außerdem bekomme ich ein Drittel des Soldes vom ganzen Feldzug auf einmal und im voraus. Das schicke ich dir von Dover, damit kannst du die Lombarden bezahlen. Gut so? Sieh doch nicht so bläßlich drein. Ich komme wieder. Schließlich sind es nur ein paar Monate. Anders wäre es, wenn ich mit Vater reiten würde. Der hält sich an nichts und pfeift auf die Folgen. Das ist auch der Grund, warum ich dir nie etwas über unseren letzten Feldzug in Frankreich erzählt habe. Doch im Stab des Befehlshabers, das ist eine andere Sache. Dort findet man Ruhm und Ehre nach Herzenslust. – Piers, würdest du bitte nachsehen, ob meine Packpferde schon fertig beladen sind?«
Gregory ging sein letztes Bündel durch und prüfte alles noch einmal, ehe er es eigenhändig zusammenpackte und es gegen die Feuchtigkeit in ein Stück ungegerbtes Leder einschlug. Ein Kästchen mit Federn, Papier und ein gut versiegeltes Tintenhorn, das sollte ihn bis zu seiner Rückkehr immer begleiten. Auch Damien schnürte auf dem Fußboden des Söllers die letzten Sachen in sein Bündel. Alles drehte sich um, als Robert, der Knappe, lässig pfeifend und mit der Blume irgendeiner Minneliebsten am Hut an ihm vorbeischlenderte.
»Sir Hugo läßt dir ausrichten, du sollst dich beeilen«, sagte er und sah Damien bei der Arbeit zu. Dann glättete er eine Braue mit dem Zeigefinger und hänselte ihn: »Ei, ei, Damien, kein Liebespfand? Minnst du denn keine Herrin?«
»Aber gewiß doch«, sagte Damien fröhlich und schnürte sein Bündel zu. »Die Herrin, meine Mutter.«
»Die Herrin, deine Mutter?« wiederholte Robert etwas spöttisch. »Die hat dir also ein Liebespfand gegeben?«
»Aber ja doch. Einen Kuß beim Abschied, als ich in den Dienst ging, und ein besseres Liebespfand kann ich mir nicht denken.«
»Damien, du bist und bleibst ein Dorftrottel. Du brauchst eine richtige Herrin, keine Mutter. Ich selber«, und dabei lächelte er ein böses Lächeln, »ich minne die Frau von Sir John, die Herrin Genevieve.« Du Schlauberger,
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