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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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flüsterte Gregory mir ins Ohr: »Margaret, es ist nicht nett, Leichtgläubige hereinzulegen.« Ich gab keine Antwort. Ehemänner sind vermutlich immer die Letzten, welche die guten Eigenschaften ihrer Frauen zu schätzen wissen. Aber man sollte meinen, daß er, der die ganze Geschichte meiner Abenteuer mit dem Licht kannte, es hätte erkennen müssen, wenn er es sah.
    »Was geht hier vor? Ihr braucht so lange! Zu lange! Die Männer sind auf dem Hof, und die Pferde warten! Schluß mit dem rührseligen Abschiednehmen!« Unbemerkt war Hugo die Stiege heraufgekommen, und seine lauten Worte durchbrachen die eigenartige Stille im Raum.
    »Damien, der Packen da hätte schon lange aufgeladen sein sollen!« brüllte er. Damien warf ihn sich über die Schulter. Mit Cecily und Alison an der Hand folgte ich den Männern die Stiege hinunter durch den Palas auf den Hof.
    Die Morgenröte war verblaßt und der Morgen frisch und schön. Vögel sangen im Obstgarten, wo die Bäume schon kleine, grüne Früchte angesetzt hatten. Knechte hielten die großen Schlachtrösser, welche die berittenen Knappen bis zur Küste hinter sich herführen würden. Die Rüstungen waren bereits auf die Packpferde verladen, und gerade schnallte man das letzte Gepäck fest. Die Männer aus den Dörfern, ohne Rüstung und nur im ledernen Brustharnisch, standen da mit ihren Piken, andere mit dem Langbogen auf dem Rücken, während ihre Frauen sie in die Arme schlossen und weinten.
    Gregory hatte mir schon gesagt, daß ich als die einzige Dame dort mit gutem Beispiel vorangehen müsse. Da. stand ich nun todunglücklich und verlassen unter dem Rundbogen der Tür und hielt sein großes Schwert umklammert. Er sollte als Letzter der Familie aufsteigen. Man führte sein Pferd zum Fuß der Treppe, er stieg feierlich auf, ich reichte ihm mit unbewegtem Gesicht das Schwert hoch, während die Dorfbewohner sich umdrehten, denn sie wollten das kleine Schauspiel nicht verpassen. Beim Adel ist der schöne Schein alles. Ich habe Gauklern bei der Arbeit zugeschaut, ich weiß Bescheid. Dann wurden die Tore aufgeworfen, und Sir Hubert, aufs Feinste ausstaffiert, gab das Signal zum Aufbruch. Sie waren ein wackerer Haufen, selbst für so ein kleines Landgut, mit den wippenden Fähnchen an ihren Lanzen und den goldbestickten Überkleidern, auf denen das Wappen der de Vilers prangte. Und keine Familie war besser beritten. Sir Hubert hatte seine Ställe für den Feldzug geplündert – und die waren selbst damals schon beachtlich.
    Als der Letzte des Trupps durch das Tor ritt, spürte ich, wie eine Art großer, gräßlicher Kloß in mir hochstieg. Er wurde immer größer und drückte mir aufs wild hämmernde Herz, stieg mir die Kehle hoch und erstickte mich beinahe. Sie hatten schon die lange, baumgesäumte Auffahrt hinter sich, als es meinen ganzen Leib ergriff. Panik. Helle Panik.
    »Wartet, wartet!« schrie ich ihnen nach. Die Frauen im Hof starrten mich an.
    »Nicht fortgehen!« schrie ich und begann ganz außer mir, hinter ihnen herzulaufen. Leute wichen mir aus, damit ich wie eine Wilde über den Hof und durch die noch nicht geschlossenen Tore rennen konnte. Die Scheidenden zogen noch immer würdevoll im Schrittempo dahin, wobei die nicht berittenen Soldaten hinter den Reisigen hergingen. Mein Atem kam in schmerzhaften Stößen, die Brust wollte mir schier bersten, während ich lief – vorbei an den Marschierenden, die sich umdrehten und gafften, vorbei an Knechten und Packpferden, Knappen und den neben ihnen am Halfter hertänzelnden Schlachtrössern, bis zur Familie, die an der Spitze ritt und unbeweglich geradeaus blickte. Gregory ritt gleich hinter seinem Vater und seinem Bruder. Als ich ihn einholte und mich an seinen Steigbügel hängte, keuchte ich so jämmerlich, daß ich kein Wort herausbrachte. Da ich seinen Steigbügel nicht fahren lassen wollte, löste er sich aus der Marschreihe, blickte mich aber die ganze Zeit über mißbilligend an.
    »Was ist, Margaret? Du machst mich zum Narren«, zischte er und zügelte sein Reitpferd am Wegesrand. Ich klammerte mich immer noch an seinen Steigbügel, sonst wäre ich hingefallen, dann brachte ich stoßweise heraus: »Warte – ach, warte.«
    »Worauf um Himmels willen?« fragte er und blickte mir ins verzweifelte, tränenüberströmte Gesicht.
    »Sag es, in Gottes Namen – so sag es doch. Geh nicht fort, ohne es gesagt zu haben.«
    »Was soll ich sagen?« Er blickte jetzt völlig verdutzt.
    »Sag ›ich liebe dich‹. Du

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