Die Vision
höchstpersönlich die Sporen an, und er war so von sich eingenommen, daß er im darauffolgenden Turnier drei Männer abwarf, selbst aber kein einziges Mal abgeworfen wurde, obwohl ein Hieb ziemlich auf die Mitte seines Schildes traf.
Doch als an diesem Abend das Fest vorbei war und sich der große Tanzsaal in der Burg von Leicester leerte, da war es vorbei mit der Jubelmiene, er wirkte eher gequält. Wir saßen zusammen in dem großen Gästebett, und ich legte ihm die Hand auf den sehnigen, narbigen Arm.
»Was ist los, Gregory?« Er fuhr zusammen.
»Nenne mich nicht mehr so, das habe ich dir doch bereits gesagt.«
»Herr Gemahl, in der Öffentlichkeit tue ich das auch nicht. Darf ich mir denn nicht ein wenig von unseren anfänglichen Gefühlen für unsere Zweisamkeit bewahren?«
»Das erinnert mich an – an das, was ich getan habe. Und an das, was ich bin, anstelle dessen, was ich sein sollte.« Ich nahm seine große, starkknochige Hand in meine beiden kleinen und drückte sie. Selbst im Dämmer hinter den Vorhängen spürte ich den Kummer und die Sorge in seinen dunklen Augen.
»Und was hast du getan, außer mir das Leben gerettet und mir wieder Hoffnung gegeben?«
»All diese Ehrungen, und das auf dem Grabe eines toten Mannes«, murmelte er bei sich. »Ich wollte mich Gott weihen, und dann habe ich gesündigt, und statt mich in die Feuergrube zu werfen, flicht man mir Ehrenkränze, wie ich es mir nie hätte träumen lassen.«
»Oh, Hausvater, so darfst du nicht denken. Wie sonst kommen Erben wohl zu Titeln, wenn nicht auf dem Grab eines anderen? Wo ist da der Unterschied, wenn uns Master Kendall gestorben ist und du durch sein Erbe ein angenehmes Leben führen kannst?«
»Aber Margaret, dich habe ich nicht geerbt, dich habe ich gestohlen.«
»Aber nicht zu seinen Lebzeiten. Du hast dich immer wie ein Ehrenmann benommen. Er hat dir vertraut und war dir freundschaftlich gesonnen. Das ist mehr, als seine Söhne von sich sagen konnten.«
»Vertraut – mein Gott, noch schlimmer. Es zerfrißt mir die Seele, das, was wir zusammen getan haben – er hat mir vertraut, und ich habe ihm die Frau weggenommen. Ich habe gegen Gottes Gebot verstoßen um dieser süßen, süßen Sünde willen. Ich kann nicht mehr reinen Herzens beten –«. Ich spürte, wie er erschauerte. »Falls es keine Sünde war, eine Wittib zu heiraten, warum sollte die Kirche es mir dann verbieten?«
»Beruhige dein Gewissen, Gregory. Deine Gewissensbisse sind ganz und gar unnötig. Es gibt hundert Männer, die sich ohne weiteres eine Wittib wegen ihres Geldes schnappen würden, ohne auch nur die leisesten Schuldgefühle zu haben. Für die wäre das Grund zur Freude, und so solltest du das auch sehen.«
Es klang entsetzt, als er sagte: »Selbst du – du glaubst, ich habe es des Geldes wegen getan – für – das hier«, und seine Hand umfaßte seine neue Welt »und wegen – o Gott – wegen –«
»Gregory, ich weiß doch, daß es nicht so ist. Zählt das denn gar nicht?«
»Doch ja. Es muß«, murmelte er fiebrig.
Dann ging es nach Brokesford zurück, um die letzten Vorkehrungen für den Ritt zur Küste und das Einschiffen nach Frankreich zu treffen. Alles war in Aufruhr: Sir Hubert ritt durchs Dorf und suchte die Männer aus, die am Ende mit ihm reiten sollten, und da gab es viel Weinen und Wehklagen in den kleinen Katen an dem morastigen Weg. Gregory hatte zwei Knaben für die Pferde eingestellt und einen sturen, pickligen Knappen namens Piers, der mir das Leben durch seine Liebeserklärungen noch schwerer machte, mir, die ich für ihn so unerreichbar war wie die Sterne. Als ich ihm gebot, damit aufzuhören, sagte er, er wäre in heiliger, unauslöschlicher Leidenschaft zu mir entbrannt und schlug sich auf die Brust, ehe er hinter Cis herlief, die ihn in den Pferdetrog schubste. Die Mädchen sahen ehrfürchtig zu, wie Damien seine Rüstung anprobierte und das Pferdegeschirr polierte. Sie baten ihn, einmal fühlen zu dürfen, wie scharf seine Schwertklinge war, und er sagte, sie trauten sich ja doch nicht – und außerdem würden ihre fettigen Finger die Schneide stumpf machen. Cecily schaffte es natürlich, sich in den Finger zu schneiden.
Kurzum, alles rannte durch die Gegend, tat geschäftig und tat groß, wie das vor einem Feldzug immer der Fall ist. Alle außer Gregory. Nach dem morgendlichen Drill saß er stumm in einer Ecke der Kapelle an Vater Simeons kleinem, achteckigen Schreibtisch und schrieb ohne Unterlaß vom späten
Weitere Kostenlose Bücher