Die Vision
gesagt, daß sie ein Jüngstes Gericht haben will, genau wie das in der Burg ihres Großvaters in der Bretagne.«
»Sie möchte das?« sagte der Hausverwalter, und auf einmal wirkte er verstört. Er bekreuzigte sich. »Das hat sie Euch gesagt?«
»O ja – und hier bietet sich uns die Gelegenheit. Wenn Ihr diesen Burschen nicht so rasch erwischt hättet, hätte sie uns den ganzen Sommer über in den Ohren gelegen. Im Ernst, Ihr habt dem Haus auf lange Zeit viel Wehklagen erspart. So ein Bild dürfte ihr ungeheuer zusagen.« Es war schon immer mein Wunsch, daß ich mit Leuten so geschickt umgehen könnte wie Mutter Hilde. Na ja, langsam wird es etwas besser, obwohl ich ihr noch lange nicht das Wasser reichen kann.
»Na gut, wenn es für sie ist –«
Der Maler sah verdutzt aus – während unseres Wortwechsels musterte er zuerst mein Gesicht, dann das andere.
»Sie? Wer ist sie?«
»Ach, unsere Weiße Dame. Sie betrachtet die Kapelle als ihr Eigentum, obwohl sie gelegentlich auch umgeht. Im vergangenen Jahr hat sie die Milch versiegen lassen und im Sommer davor den Roggen brandig gemacht.«
»Eine Weiße Dame? Erwartet Ihr etwa, daß ich ein ganzes Jüngstes Gericht in einer Kapelle mit einem Geist male?«
»Psst! So dürft Ihr sie nicht nennen«, sagte auch ich. »Sie findet Geister nämlich gewöhnlich, Ihr würdet sie damit furchtbar kränken. Sie selbst nennt sich eine Manifestation. Sie kann sehr unangenehm werden, wenn sie merkt, daß Ihr sie als Geist bezeichnet. Seht Euch also vor, wenn Ihr dort arbeitet.«
»Dort arbeitet? Dort arbeitet?« Er wirkte entsetzt.
»Ja, dort arbeitet«, sagte ich und verschränkte die Arme. Er blickte in die Runde. Fast alle hatten jetzt die Arme verschränkt, sogar der Verwalter. Mir kam der Handel nur recht und billig vor. »Außerdem bekommt Ihr, bis Ihr fertig seid, ein Bett im Palas und einen Platz am Tisch. Und Euren Hund dürft Ihr auch behalten.«
Es klappte alles wie am Schnürchen. Vermutlich ist noch kein Jüngstes Gericht in so kurzer Zeit gemalt worden, obwohl es tatsächlich einige Wochen dauerte, und meiner Meinung nach sind ihm die Gesichter auch nicht sehr gut gelungen. Andererseits dürfte er die Arbeit an behaglicheren Orten in die Länge ziehen – das ist dann die ausgleichende Gerechtigkeit. Und er verschaffte jedermann, der bei ihm Halt machte und den Fortgang seiner Arbeit bewunderte, etwas Abwechslung. Vor allem die Mädchen hockten gern bei ihm und fielen ihm lästig, während er auf der Leiter stand, an deren Fuße der Hund lag, und Teufel und Heilige malte.
»Woher wißt Ihr, daß Teufel grün sind?« fragte Cecily dann wohl.
»Gott hat mir in einer Vision offenbart, daß sie grün sind«, antwortete er gelassen und trug Farbe auf einen gegabelten Schwanz auf.
»Ich glaube, sie sind rot«, sagte Cecily.
»Dann male doch selbst welche«, sagte er dann wohl, ohne auch nur den Kopf zu wenden. Durch ihn kam sie also auf die Idee, mit Kohle Teufel und Phantasiewesen auf die flachen Steine am Herdfeuer zu malen. Und er schien zu ahnen, daß ich sie ausschimpfen wollte, weil sie sich schmutzig gemacht hatte, denn als ich mir die eigentümlichen Gestalten ansah, stand er auf einmal hinter mir und sagte:
»Gar nicht so übel für ein Kind. Sie hat ein gutes Auge. Schade, daß sie kein Junge ist.«
Doch immer, wenn er dort oben arbeitete und mich nahen sah, wandte er sich ab und tat furchtbar gekränkt. Natürlich mußte ich ihn fragen: »Was ist Euch? Ihr eßt, Ihr trinkt, und Ihr seid noch im Besitz aller Gliedmaßen. Ihr solltet mir dankbar sein – zumindest so dankbar, daß Ihr mich begrüßt, wie es sich geziemt.«
»Ich sorge hier für aller Welt Kurzweil – dafür steht mir zumindest der Lohn eines fahrenden Sängers zu«, schmollte er.
»Na gut, dann will ich Euch die Wahrheit sagen: Der Sieur de Vilers hat mir keinen Penny dagelassen. Er ist der größte Geizkragen in der ganzen Grafschaft, es sei denn, es geht um seine Pferde – und davon hat er die meisten mitgenommen.« Die Fohlen dieses Sommers tobten bereits mit ihren Müttern auf der Koppel herum, eins so schön wie das andere, und wir hatten kein einziges verloren. Dafür hatte ich höchstpersönlich gesorgt. Ich wußte, es würde ihn bei seiner Rückkehr gnädig stimmen.
»Na gut, aber Ihr hättet mich ruhig warnen können.«
»Warnen? Wovor?«
»Daß Ihr hart feilscht, Madame. Und daß hier zwei sind, habt Ihr mir auch nicht gesagt.«
»Zwei? Zwei was?«
»Zwei G –
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