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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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erfahren hatten. Sir Hugo ritt auf seinem Falben ungerührt an der Spitze, hinter ihm führte Robert sein Schlachtroß mit der rechten Hand. Dahinter kam zwischen zwei Pferden die Tragesänfte mit dem Herrn von Brokesford Manor, den man gegen den heftigen Schüttelfrost in dicke Lagen von Pelzdecken gehüllt hatte. Damien ritt neben der Sänfte und trug Schwert sowie Schild seines Herrn und führte sein gesatteltes Schlachtroß am Zügel, und das erweckte bei jedermann den Eindruck, er könnte es durchaus wieder besteigen.
    Hinter ihnen kam eine Reihe schwer beladener Packpferde, die von berittenen Bogenschützen bewacht wurden, und das zeugte für den Erfolg der Kampagne. In den Packen befanden sich Wandbehänge und Teppiche, Silberpokale und Kästen mit Goldmünzen, Schwerter und Panzer, die Beute von französischen Adligen und Bürgern, die das Pech gehabt hatten, mit ihnen zusammenzustoßen. Das prächtigste Stück, ein großer goldener Tafelaufsatz in Schiffsform, war bereits an den König verkauft worden, ebenso wie die Lösegeldforderung für drei französische Knappen und einen Bannerherrn. Sie waren unter den Fittichen der hohen Politik heimgesegelt, da sie einen Platz auf dem Schiff gefunden hatten, welches den Überläufer Philipp von Navarra nach England brachte. Dieser wollte dem englischen König als rechtmäßigem König von Frankreich huldigen; mit ein wenig Glück würde ein neuer Lord von Brokesford unter eben diesen Fittichen nach Frankreich zurücksegeln, sobald ein Erbe unterwegs war. Davon träumte der alte Lord auf seinem Sterbelager.
    Als das Horn erklang und das Tor aufgeworfen wurde, erblickte man Margaret unter dem niedrigen Rundbogen des Palas, wo sie an der Spitze des Gesindes auf die Heimkehrenden wartete. Sie hatte wieder Trauer angelegt, ihr tief schwarzes Kleid und Überkleid, und sah bleich und abgehärmt aus. Sie wirkte kaum kräftig genug, um sich aufrecht zu halten. Sie ließ den Blick über die heimkehrenden Reiter wandern, anscheinend hoffte sie, alles wäre nur ein böser Traum und sie würde Gregorys hohe, vertraute Gestalt irgendwo unter ihnen ausmachen.
    Als die Knechte herbeieilten, um zu helfen, erteilte Hugo den Soldaten zu Pferd knappe Befehle. Sie stiegen ab und schirrten zu beiden Seiten der schweren Tragesänfte die Pferde ab.
    »Nicht ruckeln«, fuhr er die Soldaten an, als sie die Bahre anhoben. Das Gesicht des alten Lords war grau vor Schmerz. Er stieß nur einmal einen Laut aus, einen unfreiwilligen Schrei, als die Bahre die Stufen hochgetragen und auf zwei Bänken im Palas abgesetzt wurde.
    »Ist alles bereit?« fragte Sir Hugo den Hausverwalter.
    »Ja, Mylord.«
    »Die Stiege darf er nicht hochgetragen werden. Man lasse das große Bett auseinandernehmen und hier im Palas, hinter einem Wandschirm, wieder zusammenbauen.«
    »Sofort, Mylord.« Sechs Männer wurden hochgeschickt, die das sperrige Möbel Stück für Stück durch den engen Turmaufgang und über die steile Wendeltreppe, welche kaum breit genug für einen Menschen war, nach unten in die Halle brachten.
    »So, Vater, bald habt Ihr es wieder behaglich«, sagte Sir Hugo zu der stillen Gestalt auf der Bahre. Die entzündete Wunde hatte den alten Mann bis auf die Knochen abmagern lassen. Seine Zähne, die wie bei einem Totenschädel weit vorstanden, teilten sich, und seine verdorrten Lippen verzogen sich zu einer Art gespenstischem Lächeln.
    »So haben auch die altehrwürdigen Herren von Brokesford gelebt, in der Halle, inmitten ihrer Leute. Eine gute Sitte. Ich bin zuhause.«
    »Ja, Vater. Zuhause. Und als Held.«
    Die gräßlichen Lippen teilten sich, doch die Stimme des alten Mannes war kaum zu hören. »Der Kasten, Hugo. Vergiß nicht, Dame Margaret den Kasten zu geben.«
    »Nein, Vater, gewißlich nicht.«
    »Und Hugo, ich sterbe glücklich, wenn du die mit Sir Walter getroffenen Abmachungen ehrst. Führe seine Tochter als deine edle Braut heim und mache diesem Haus wieder prächtige Söhne.«
    »Ja, Vater, ich kenne meine Pflicht, ich gehorche dir in allem.«
    Täuschte sich der Vater, oder schwang in dem unterwürfigen Ton, den Sir Hugo gewöhnlich seinem Vater gegenüber anschlug, eine Spur Triumph mit? Der alte Mann war so schwach, daß er nicht wußte, ob er recht hatte. Aber hatte nicht Hugo mit großer Umsicht für alles gesorgt? Für die Überfahrt, die furchtbare Reise nach Hause? Doch die Wunde, welche anfangs so geringfügig ausgesehen hatte, machte, daß sein Leben versickerte. Anfangs

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