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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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ihm niederknieten und um seinen Segen baten. Sir Hugo, strahlend und in der Blüte seiner Jugend, neben seiner anmutigen jungen Braut mit dem honigfarbenen Haar, der Lady Petronilla.
    Ich musterte sie eingehend, als man uns vorstellte. Diese Stirn hatte noch keine Sorge getrübt. Unter einem erlesenen durchsichtigen Schleier aus Seide, den ein goldener Reif hielt, trug sie das Haar in dicken Zöpfen um den Kopf geschlungen. Sie hatte blaugraue Augen mit hellen Wimpern; ihre Nase war gerade, jedoch ein wenig stupsnasig. Ihre Züge waren ebenmäßig, und ihre Pfirsichhaut wirkte etwas golden, da sie die Jagd und alle Sportarten im Freien liebte. Sie war für ihre Reitkunst wie für ihre Geschicklichkeit mit Kurzbogen und Pfeil berühmt. Man munkelte, sie könne singen und das Psalterium spielen. Mir gefällt der Klang des Psalteriums sehr. Vielleicht würden wir gut miteinander auskommen. Es macht keinen Spaß, die einzige Dame im Haus zu sein. Zwei können viel mehr schaffen als eine.
    Ihre Hände steckten voller Ringe, zuweilen zwei an einem Finger, und sie bewegte sie beim Reden, damit das Licht auf den Steinen funkeln konnte. Ihr Gewand war aus dunkelblauer Seide und an den Kanten mit Gold eingefaßt, und ihr Überkleid aus sattem Rot, auf dem waren mit Gold- und Silberfäden Blumen und seltsame Tiere gestickt. Sie verstand sich darauf, mit zierlichen Schritten auf diese besondere Weise zu gehen, mit der sie die lange Schleppe und die winzigen Pantöffelchen, die darunter hervorlugten, vorteilhaft zur Geltung brachte.
    Ich hatte gesehen, wie sie sich zu Hugo neigte und hörte sie flüstern: »Wer ist das da?« während sie mir quer durchs Zimmer, wo ich mit Cecily und Alison in der Schar der Gratulanten und Gefolgsleute stand, einen Blick zuwarf. Irgendwie machte ihr Blick klar, daß ich zu alt, zu unansehnlich und zu abgehärmt war.
    »Liebe Frau, darf ich dir Dame Margaret, die Wittib meines Bruders, vorstellen«, sagte Hugo und führte sie mir an einem einzigen, erhobenen Finger zu. Die Seide ihres Gewandes raschelte, als sie anmutig auf mich zukam. Sie trug viel Geschmeide, ein großes, mit Rubinen besetztes Goldkreuz und eine Goldkette und noch eine Kette aus Goldfiligran und mit Perlen besetzt. Ich meinerseits mache mir nichts aus Schmuck. Er ist kalt und hart und kommt einem immer in die Quere – auch wenn es elegant aussieht. Ich trage nur zwei Ringe. Den schmalen, schlichten Goldreif mit dem Wappen der de Vilers, meinen Ehering von Gregory, und Master Kendalls breiten mit den ziselierten Blumen und Blättern, auf dem innen ›Omnia vincit amor‹ eingraviert steht. Beide stammen nicht von hier. Gregorys gehörte seiner Mutter, und als sein Vater ihn bei der Hochzeit hervorzog, bezichtigte ihn Gregory mit lauter Stimme der Leichenfledderei, und das verzögerte den Fortgang der heiligen Handlung beträchtlich. Master Kendalls Ring war für irgendeine Geliebte angefertigt worden, argwöhnte ich, aber entweder hatte er es sich anders überlegt oder sie gab ihm den Laufpaß – jedenfalls hatte er den kunstvoll gefertigten Ring zur Hand, als er mir so unerwartet einen Heiratsantrag machte. Ich habe ihn auf die andere Hand gesteckt, aber absetzen werde ich ihn nie. Und dann habe ich natürlich noch mein Kreuz. Das ist sehr alt und kommt von jenseits des Meeres und hat sehr seltsame Eigenschaften.
    Sie musterte mich von Kopf bis Fuß.
    »Liebwerte Schwester«, sagte sie. »Was für ein hübsches Kreuz. Darf ich einmal anfassen?« Ich wollte schon nein sagen, denn das Brennende Kreuz hat eine Eigenart. Master John von Leicestershire, der es mir vor Jahren gab, sagte, ich könne es haben, wenn ich es tragen könne, denn es versengt alle, die nicht im Herrn wandeln. Natürlich glaubte ich ihm nicht; ich hielt das für eine elegante Art, mich dafür zu bezahlen, daß ich seiner Tochter das Leben gerettet hatte. Ich hatte nämlich gesagt, daß ich kein Geld dafür annehmen würde. Aber seitdem hat es einige merkwürdige Dinge bewirkt, so daß John vielleicht doch recht gehabt hat. Die Worte lagen mir schon auf der Zunge, da sah ich den Blick in den hübschen Augen meiner neuen Schwägerin. Habsucht lag darin. Sie erwartete, daß ich sagte: »Geliebte Schwester, es sei dein.«
    »Natürlich dürft Ihr es anfassen«, sagte ich. »Es ist eine Reliquie aus der Zeit der Kreuzzüge.« Sie streckte die schöne Hand aus, wollte es liebkosen, und ihre Augen sagten: »Laßt mich nicht so lange warten, liebwerte Schwester, gebt

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