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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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zumindest der innere Teil, ist ziemlich alt. Vor über hundert Jahren von einem gewissen Aaron fil Isaac gebaut, ehe man die Juden aus England vertrieben hat. Es gibt einen Fluchttunnel zum Fluß, von dem niemand weiß. Und Vertäfelungen. Ja, ja. Ein paar Geheimverstecke, dazu Hohlsteine unter der Feuerstelle, und was dergleichen mehr ist. Überall habe ich Gold und Silber versteckt. Ich bin gestorben, bevor ich dich einweihen konnte, und dabei hatte ich mir das fest vorgenommen. Geh nach London, und ich zeige dir, wo alles ist. Ich habe ohnedies nichts mehr davon. Und warum sollte es Hugo haben? Der verdient nicht einen Penny.«
    »Stimmt. Nicht auszudenken, aber als Gregory dir damals, vor langer Zeit, erzählt hat, was er von Hugo hält, da habe ich rein gar nichts begriffen. Jetzt begreife ich nur zu gut.«
    »Und ich verziehe mich jetzt – mal sehen, ob in Bedford etwas los ist. Ich schlafe überhaupt nicht mehr. Stell dir vor, Langeweile bei Tag und bei Nacht. Also, jetzt schlaf schön, dann kannst du morgen besser denken. Du wirst diesen albernen, jungen Mann zurückbekommen, wenn du ihn willst.«
    »Ich will ihn, o Gott, ich will ihn!« Margaret sprang vor Freude auf und umarmte Master Kendall, vergaß ganz seinen körperlosen Zustand und zog sich dabei eine Gänsehaut an Gesicht und Armen zu.
    »Ach, Margaret«, sagte er und blickte sie zärtlich an, während sie fröstelte und sich die geisterhafte Feuchtigkeit abwischte. »Du hast ja keine Ahnung, wie leid es mir tut, daß ich nicht mehr warm bin.«

    Es gibt gewisse Dinge, die kann ich nicht niederschreiben. Dazu gehören die Dinge, die zu gräßlich sind, als daß man darüber reden könnte, das andere sind Dinge, die mir nicht wieder einfallen wollen. Und als ich Gregory verloren hatte, da war das zu furchtbar, um darüber zu reden, und an viel erinnern kann ich mich auch nicht mehr, weil ich wie von Sinnen war und im Wachen und im Schlafen von Träumen gequält wurde – von entsetzlichen Träumen. Mich dünkt, mir träumte, daß Sir Hugo als Bräutigam in neuen Kleidern und mit einer Pfauenfeder am Hut auf einem weißen Roß davonritt, nachdem er zuvor kniend den Segen seines sterbenden Vaters empfangen hatte. Er nahm Jagdhunde, Begleiter, Geschenke und eine schneeweiße Stute mit vergoldetem Damensattel mit, die sollte seine Frau zurücktragen. Mir träumte, daß zu ihrem Empfang ein großes Fest vorbereitet wurde, doch da das Haus in Trauer war, feierte man es nicht so prächtig, aber immer noch prächtig genug. Als man die Schweine und Schafe herbeischaffte, die ihr Leben für Würste und Fleischpasteten lassen sollten, da träumte mir, daß ich die eingeschrumpfte Hülle des alten Mannes pflegte, den Hugo daheimgelassen hatte, und daß er schrie, wenn ich den Verband erneuerte. Einst hatte ich ihn gehaßt, doch damit war Schluß.
    »Mein Gott«, flüsterte er. »Ich winsele wie eine Frau. Das machen die Schmerzen. Die zermürben mich, und so sterbe ich statt auf dem Schlachtfeld wie ein Hund. Im Bett.«
    »Liegt ruhig und trinkt das«, sagte ich dann wohl, und er gab zwischen schweren Atemzügen und Schlucken zurück: »Ein scheußliches Zeug. Schmeckt, als ob es alle Teufel der Hölle zusammengebraut hätten.«
    Und einmal blickte er mich mit seinen einst so gräßlichen blauen Augen an, die waren jetzt so eingesunken und schwarz umrandet, als starrten sie aus dem Grab heraus.
    »Rettet mich«, flüsterte er.
    »Ich tue, was ich kann. Ich habe Euch einen neuen Umschlag gemacht«, sagte ich.
    »Nein«, erwiderte er. »Rettet mich. Rettet mich mit dem Licht in Euren Händen wie Urgan.« Lieber Gott, er hatte es gesehen. Er hatte es die ganze Zeit gewußt und kein Sterbenswörtchen verlauten lassen.
    »Der Knochen. Ihr habt den Knochen geheilt und das Schlachtroß hochbekommen. Heilt mich, heilt mich auch so«, flüsterte er verzweifelt, denn niemand im Palas durfte ihn hören.
    »Ich habe jetzt nicht die Kraft dazu«, antwortete ich.
    »Das heißt, Ihr haßt mich«, sagte er ergeben. »Das ist nur recht und billig. Ich habe Euch zuviel angetan. Ich erbitte zuviel.« Und damit wandte er das Gesicht zur Wand.
    »Nein, nein«, sagte ich, und er tat mir so leid, daß ich mein Geheimnis nicht länger bei mir behalten konnte. »Die Kraft läßt sich nicht nutzen. Ich kann sie nicht herbeirufen. Sie hat sich nach innen gekehrt wie immer, wenn sie dem Kind beistehen muß.«
    Er wandte den Kopf zurück und blickte mich lange an.
    »Dann hatte ich also

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