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Die Vision

Die Vision

Titel: Die Vision Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Hilde. Ich würde alles geben, nur um ihn wiederzuhaben. Ich weiß, ich kann ihn finden – ich kann das Geld finden – alles –, wenn ich mir nur genug Mühe gebe. Er liebt mich, das hat er gesagt, und ich kann nicht von ihm lassen. Oh, Hilde, vielleicht stirbt er allein, und ich sehe ihn niemals wieder –«
    Und während meine Tränen in unser spätes Abendessen, eine Gemüsesuppe, tropften, die Mutter Hilde aus ihrem Kochtopf ausgeteilt hatte, sagte sie: »Margaret, schlaf dich erst einmal richtig aus, dann fällt uns schon etwas ein. Man kann alles schaffen, wenn man seinen Verstand gebraucht. Und du stehst auch nicht mit leeren Händen da. Was hast du mitgebracht?«
    Schweigend legte ich die Sachen auf den Tisch. Gregorys letzten Brief mit dem Tintenklecks, dann meinen kleinen Psalter. Ich sah, wie sie erschauerten, als das Kalte Ding sich im Raum ausbreitete.
    »Was ist das nur für ein kaltes Gefühl?« sagte Mutter Hilde ruhig und in genau dem Ton, den sie bei einer schwierigen Geburt anschlägt, wenn sie niemanden erschrecken will.
    »Master Kendalls Geist«, sagte ich, »er hat versprochen, mitzukommen und mir zu zeigen, wo ich Geld holen soll, damit ich Gregorys Lösegeld zahlen kann und ihn zurückbekomme.«
    »Ratschläge von Geistern? Ei der Daus, Margaret. Und du findest es seltsam, wenn ich mich mit Pflanzen unterhalte. Was ist das schon verglichen mit jemandem, der mit Geistern Umgang pflegt. Aber du hast ja schon immer Stimmen gehört. Wo ist er jetzt?«
    »Papa ist drüben beim Feuer«, sagte Alison und deutete mit ihrem Stummelfinger in die Richtung.
    »Ja – er sagt, es ist einfach zu ärgerlich, daß er nicht mehr warm wird«, sagte Cecily.
    »Gut, gut. Drei vom gleichen Stamm. Lieber Himmel, Margaret, du bist immer für Überraschungen gut. Da fragt man sich, wie das Kleine wird? Auch mit dem zweiten Gesicht wie die beiden da? Erschrick doch nicht so. Vor mir kannst du dergleichen nicht verbergen – und vor der Gevatterin Ciarice hier auch nicht, denn die lernt jetzt bei mir. Im wievielten Monat, was meint Ihr, Ciarice?«
    Die Frau antwortete ernsthaft, als wiederholte sie eine Lektion. »Im zweiten – vielleicht im dritten, will mir scheinen, Mutter Hilde.« Ich spürte, daß ich errötete.
    »Oh, Margaret, liebe Margaret. Du weißt doch, wie gut ich dich unterwiesen habe. Jetzt sage mir, wie hast du dich wohl verraten?« Ich schlug die Augen nieder – die schweren Falten meines bauschigen Überkleides und das nicht verschnürte Unterkleid machten, daß man mir nichts ansah. Dann fiel mein Blick auf meine Hände, die ich über dem Leib gefaltet hatte. »Oh!« sagte ich und ließ sie fallen. Mutter Hilde lachte.
    »Ja, die Hände, Margaret. Sie sprechen eine bessere Sprache als alle Worte. Jetzt zeig mir die anderen Sachen.«
    »Das hier noch«, sagte ich und zog das Kästchen von der dunklen Dame heraus. »Das sollte ich lieber wegwerfen. Sieh mal.« Als ich es öffnete, hielten sie den Atem an. Wie schön er doch war, der Ring, ganz mit Edelsteinen besetzt, die im Feuerschein funkelten.
    »Hugos Hochzeitsring – und mit einem tödlichen Gift versehen. Wehe, einer von euch faßt ihn an.«
    »Wirf ihn noch nicht weg«, sagte Mutter Hilde. »Dergleichen gelangt nicht ohne Grund zu einem. Komisch, er ist wunderschön und furchterregend zugleich.«
    »Genauso wie die dunkle Dame selbst.«
    »Seltsam, seltsam«, sagte Mutter Hilde kopfschüttelnd. »Sie muß ihn einst sehr geliebt haben, sonst hätte sie nicht soviel gewagt und sich auf eine so lange Reise begeben. Liebe, die zu Haß wird und die so vergiftet ist wie der Ring. Und am Ende brachte sie es doch nicht über sich, ihm den Ring zu geben. Du hast mir ein Rätsel aufgegeben, Margaret, und ich weiß nicht, was es bedeutet. Zeig mir, was du sonst noch hast.« Ich band das Amulett ab und entfaltete die winzigen Schühchen.
    »Madame Belle-mere ist ihnen gefolgt«, sagte ich. »Aber sie ist im Augenblick nicht da. Wahrscheinlich macht sie Besichtigungen. Sie langweilt sich schnell und trägt die Nase sehr hoch – die Gegend hier dürfte ihr nicht zusagen.« Mutter Hilde nahm die Schühchen und drehte sie hin und her.
    »Seine, vermutlich.« Sie legte sie wieder auf den Tisch. »Es steht sehr ernst, Margaret. Ich bitte heute abend um einen Traum, der mir aufzeigt, was das alles zu bedeuten hat. Sonst muß ich mit heißem Wachs wahrsagen. Aber das Letzte brauchst du mir nicht zu zeigen, ich weiß ohnedies, was es ist.« Auf einmal

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