Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
diese Welt ist.«
10
Z um ersten Mal nach Katharinas Tod wurde der Festsaal im Hause van Geldern wieder geöffnet. Die Mägde und Knechte stießen die Fenster auf, um den ersten Duft des Frühlings hereinzulassen. Sie fegten den Dielenboden mit Sand, legten frische Binsenmatten aus, hängten Teppiche und Ledertapeten über die holzgetäfelten Wände und schmückten die Rahmen der prachtvollen Gemälde und die Kerzenleuchter mit Buchsbaum, dem Laub der unschuldigen Jungfrau.
Wieder einmal gingen Haus- und Mietköche in der Hofküche ihrem Werk nach, wenngleich nicht in der Anzahl wie damals, als es die Ankunft des Finanzsekretärs zu feiern galt. Der Aufwand, der getrieben wurde, war würdig, aber nicht verschwenderisch, lediglich beim Essen sparte der Brautvater nicht. Er kannte die Leidenschaften seines künftigen Schwiegersohns, die der Tochter schienen ihm gleichgültig.
Der Freiherr stand mit geröteten Wangen beinahe schon im Kamin und hielt schnuppernd und händereibend seine Nase über die simmernden Kessel und dampfenden Töpfe. »Und was ist das?« fragte er gierig und neugierig einen vorbeieilenden Koch.
»Gesottene Kaldaunen«, brummte der Mann.
»Köstlich, köstlich!« rief der Freiherr entzückt.
Der Koch warf ihm einen halb erstaunten, halb spöttischen Blick zu. Im Gehen murmelte er: »Das finden zumindest die Jagdhunde unseres Herrn auch.«
»Die Hunde?« Van Ypern hob enttäuscht die Brauen, als er aus den Augenwinkeln heraus zwei Mägde entdeckte, die mühsam prustend ein Lachen unterdrückten. Um Würde bemüht richtete er sich zu seiner stattlichen Größe auf und stieß sich dabei den Kopf an einer herabhängenden Kupferpfanne. Ein gongartiger Ton erklang.
Ärgerlich trat Fritjof in den Küchenraum. »Natürlich die Jagdhunde. Jeder gute Jäger weiß, daß er seine Tiere nur mit ausgesuchten Leckerbissen zu bester Leistung anspornen kann. Ich selbst pflege meiner Meute nur blutiges Federvieh vorzusetzen, frisch geschlachtet, lebenswarm, das weckt, äh«, er hatte sich endlich bis zur Tür vorgearbeitet und stieß sie erleichtert auf, »den Eifer, jaja.«
Er war schnell genug draußen, um das Gackern, das einer der Knechte imitierte, während er mit vorgereckter Brust um den Tisch gockelte, nicht mehr vernehmen mußte. Gar nicht mehr hatte vernehmen können, wie sich van Ypern im Hof selber versicherte.
Seufzend schaute er sich um, wie sehr sehnte er sich auf sein eigenes Gut zurück. Er war nicht gemacht für das Stadtleben, ihn gelüstete es, mit seinem jungen Weib endlich zu jagen, zu reiten, zu ... Er wollte seine Augen zum Fenster Columbas heraufgleiten lassen, als er Lazarus sah, der ebenfalls dort hinaufsah. Van Ypern stapfte mit festen Schritten auf ihn zu.
»Sucht Ihr vielleicht jemanden, Herr?« Lazarus wandte ihm langsam den Kopf zu. »Ich bewunderte nur gerade Eure Braut.«
Der Freiherr wußte nicht, ob er sich durch das Kompliment eines Kaufmannsgehilfen geschmeichelt oder verärgert fühlen sollte. Nun ja, schließlich obsiegte seine Gutmütigkeit. Immerhin war dieser bartlose Jüngling einmal Vertrauter Don Cristobals gewesen und damit mehr als ein einfacher Gehilfe.
»Ja«, sagte er deshalb, »ich bin sehr glücklich, daß ich das Herz eines so liebreizenden Mädchens für mich gewann. Wer hätte das gedacht. Eine van Geldern, und so hübsch dazu. Dagegen ich, nur ein Landjunker, feist und tumb.«
»Ihr seid zu bescheiden«, gab Lazarus zurück.
»Bescheiden? Oh, nun ja, im Grunde habt Ihr recht. Schließlich gilt sie allgemein nicht als große Schönheit. Zu dunkel, nicht wahr. Sie kann sich glücklich schätzen, einen Freiherrn zum Bräutigam zu haben. Die Privilegien, dazu mein Gut, das bald wieder schuldenfrei sein wird. Es hat viele hundert Morgen fruchtbarstes Land, Felder und Waldungen, voll von den fettesten Wildschweinen, die Ihr je saht.«
»Columba van Geldern wird stolz sein, Herrin darüber zu werden.«
Van Ypern runzelte die Stirn, klang in der Stimme des anderen nicht doch der Unterton von Spott an? »Ich nehme an, Ihr werdet heute bei der Verlobungsfeier dabei sein?« fragte er steif.
»Nicht lange, fürchte ich, denn morgen in aller Frühe muß ich reisen.«
»Reisen? Wohin?«
»Nach London über Antwerpen. Dringende Geschäfte.«
»Aber die Frühlingsstürme im Kanal! Mitten im März müßtet ihr übersetzen. Das scheint mir töricht, ja geradezu gefährlich. Wollt ihr es wirklich wagen?«
»Ich habe nichts zu verlieren, außer meinem
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