Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
war auch der Spitzel auf den Beinen. Er zog seine Beinkleider hoch, während er drohend auf sie zutrat. »Versager? Überschätze deine Fähigkeiten und deine Reize nicht, du kahlköpfige Hure. Auf dem Berlich gibt es Dutzende, wie du eine bist, und die meisten von ihnen leben nicht lange. Glaube nicht, daß ich ein Zauderer bin.«
»Du bist es, der sich hier überschätzt hat. Von Anfang an. Warum empfängt dein Herr mich nicht endlich? Die Zeit ist bald reif.« Sie las Haube und Schleier vom Boden auf.
»Die Zeit ist unser Acker. Wir müssen geduldig sein«, knurrte der Spitzel.
»Du hast es leicht, geduldig zu sein, während ich alle Arbeit tue!«
Der Dürre räusperte sich und sagte, um einen einlenkenden Ton bemüht: »Lange kann es nicht mehr dauern. Rebecca ist nicht mehr Herrin ihrer Sinne. Sie rief schon selber nach Galisius, wie du sagst. Und wenn erst der Diakon des Nachts das tut, was ich glaube, dann haben wir bald mehr als genug Beweise, um sie direkt in die Hölle fahren zu lassen ...«
»Beweise, Beweise! Die schaffe ich fast täglich heran, dabei hatte ich schon nach dem Tod Katharinas genug. Einen Ankläger brauchen wir! Einen, der den windigen Gewaltrichter und den schwerfälligen Rat hinter sich bringen kann. Wir brauchen van Geldern, verflucht.«
Der Dürre biß sich auf die Lippen, bis sie weiß wurden. Endlich sagte er mit der triumphierenden Miene eines Verräters, der sein letztes und größtes Geheimnis preisgibt: »Warum Arndt van Geldern? Würde nicht seine Tochter eine ebenso glaubhafte Beklägerin sein?«
»Diese Columba? Wie soll das gehen? Du bist ja toll.«
Überlegenheit spiegelte sich in den Zügen des Dürren. Nur selten gelang es ihm in letzter Zeit, seine listige Geliebte zu übertrumpfen, diesmal war er ihr mit seinem Wissen voraus.
»Ich sprach nicht von Columba, ich sprach von Juliana, der Lieblingstochter Arndt van Gelderns. Ihre Frömmigkeit ist stadtbekannt, wenn auch mehr auf Pomp und Augenschein bedacht als die ihrer Tante. Eine Ketzeranklage aus ihrem schönen jungfräulichen Munde ...«
»Diese scheinheilige, falsche Katze? Wie sollte sie uns nützen? Scharwenzelt fast täglich hier herum, um einen Abglanz des Wunders zu erheischen, sich darin zu spiegeln, sich selbst als Teil des heiligen Geschehens aufzuspielen.«
Der Dürre legte seine Rechte um Annas Handgelenk und zog sie zu sich heran. »Du irrst dich, Anna.«
»Ich mich irren?« Halb wütend, halb unsicher blitzte sie ihn an.
Seine knochigen Finger tasteten nach ihren Brüsten, er preßte seinen mageren Leib fest an sie. »Juliana kommt nicht ihrer Tante wegen. Sie kommt wegen des Diakons. Wenn du hübsch artig bist, werde ich es dir erklären. Später.«
Anna atmete tief ein. »Wegen des ...«, hob sie an, doch dann spürte sie die dünnen harten Lippen des Spitzels auf ihren. Seine Zunge schob sich gierig in ihren Mund, beweglich wie eine Schlange. Anna erwiderte den Kuß, doch ihre Gedanken waren mit etwas ganz anderem beschäftigt. Sie sah den Diakon vor sich, den Diakon und Juliana. Der Dürre hatte recht, diese Konstellation bot ungeahnte Möglichkeiten.
V.
Die Verlobung
1
A uf dem Konzil von Trient, das mit Unterbrechungen von 1545 bis 1563 getagt hatte, waren Europas Purpurträger unter Vorsitz des Papstes unter anderem zu dem Beschluß gelangt, daß eine Heirat nicht mehr in Privathäusern zelebriert werden dürfe, sondern nur noch während der Heiligen Messe. Zu groß schien den um eine große katholische Reformation bemühten Kirchenmännern die Gefahr heimlicher Ehen, die nicht Gottes, sondern der Venus wegen geschlossen wurden. Nur in Gotteshäusern sollte das heilige Sakrament der Ehe fürderhin gespendet werden.
Vornehme Bürger und Patrizier freilich murrten gegen die Bestimmung, weil diese sie gleichzeitig um die Möglichkeit brachte, in ihrem Haus all den Hochzeitsprunk zu entfalten, der sonst nur Adeligen zustand. An der Verlobungsfeier im privaten Kreise hielten sie hingegen fest. In Köln wurde dabei der Heilich genannte Ehevertrag besiegelt und nach uralter Formel die Braut dem Bräutigam übergeben.
Van Geldern hatte ein schwarzes Samtgewand angelegt und trug sein prachtvollstes Barett mit goldener Kette, während er im festlich erleuchteten Prunksaal die Zeremonie der Brautübergabe vornahm.
Neben ihm stand der Diakon von St. Alban, um Zeuge des Aktes zu sein. Hinter dem Brautpaar hatten sich die Familie, die Fakturisten, Schreiber und ein Teil des höherstehenden
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