Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
Buchhalter hockten in ihren Kammern unter dem Dach und klatschten über das Verhängnis, das über die stolze Familie hereingebrochen war. Die eine Tochter – Juliana – wählte die Hauskapelle oder St. Alban als Zufluchtsort vor dem Unglück. Man hielt sie für fromm. Die andere Tochter lag von seltsamer Schwermut geplagt im Bett, zu schwach, um sich gegen die unwillkommenen Zärtlichkeitsbeweise und Tröstungen ihres Verlobten zu wehren, der sich in der Rolle des allesverzeihenden Helden ausnehmend gut gefiel.
»Mein Täubchen«, gurrte er, »so still? Ein wenig munterer gefällst du mir besser. Freilich ist das Unglück deines Vaters nicht gering, aber tröste dich. Auf meinem Landgut bist du fern davon. Dort gibt es genug zu tun. Und die Wälder, die Jagd. Mein Vogt schrieb mir, daß er so früh im Jahr noch nie so viele Frischlinge sah. Drei Wilddiebe hat er schon aufgeknüpft und sagt, sie schaukeln prachtvoll im Wind. Ich fürchte, die Hungersnot verführt die meisten zu solchen Freveltaten.«
Columba stöhnte unwillig. »Mußt du ausgerechnet vom Tod sprechen?«
Der Freiherr seufzte und nahm einen Schluck Bier. »So zimperlich warst du nicht immer. Gräme dich nicht so über die lästige Geschichte. Dein Vater hat Ansehen und gewiß auch Vermögen genug, um sich herauszuwinden. Und ich verspreche dir, dich nach unserer Heirat nie an den Makel zu erinnern, der von nun an auf eurem Namen liegen wird. Mein Täubchen, die Suppe, ißt du sie noch?«
Columba schüttelte stumm den Kopf, und der Freiherr nahm sich mit großzügigem Appetit der Suppe an.
Arndt van Geldern verbrachte die Tage und die Nächte in seinem Kontor, von ständigen Schmerzen geplagt, ruhelos und voll brennendem Haß. Der Gewaltrichter hatte ihn, da er ein vornehmer Bürger und kein gewöhnlicher Krimineller war, nur unter Hausarrest gestellt. Der Rat würde die Geschichte um das Pulver und den toten Sekretär öffentlich zu untersuchen haben, schließlich war mit dem Erwerb von Schwarzpulver gegen einen offiziellen Handelsboykott verstoßen worden, und das zum Schaden der Stadt.
Bis zu dieser Verhandlung waren das Vermögen des Kaufherrn eingefroren, seine Waren allesamt beschlagnahmt, jeglicher Geschäfts- und Briefverkehr verboten. Van Geldern wußte, daß er nicht um sein Leben zu bangen brauchte – die Anklage auf Ketzerbefreiung würde man auf den Dürren abwälzen –, aber sein drohender Ruin schmerzte ihn nicht weniger. Das Strafgeld des Rates würde hoch sein. Den größten Teil von Katharinas Erbe hatte er in den Pulverhandel gesteckt, mit dem es nun vorbei war. Fieberhaft arbeitete er an einer Lösung.
Der Gewaltrichter hatte ihm, ebenfalls gegen einen hübschen Anteil an den eingefrorenen Geldern, Verschwiegenheit und Aufschub zugesichert bis Columbas Hochzeit vollzogen war.
»Danach«, so hatte der Amtmann mit dem gierigen Blick des Erpressers gedroht, »werde ich entscheiden müssen, wer in die Ketzerflucht verwickelt und somit dem kurfürstlichen Greven auszuliefern ist. Freilich glaube ich nicht, daß ein vornehmer Kaufherr wie Ihr oder etwa die reizende Columba damit zu schaffen haben. Gewiß handelte der untreue Sekretär auf eigene Faust, wenngleich Eure Tochter schon einmal ...« Das Geschenk eines Fäßchen besten Malvasiers hatte ihn von dieser Erinnerung abgelenkt.
Van Geldern starrte in die absterbenden Flammen des Kaminfeuers. Tropfen nadelten gegen die Fenster, ein Rauschen ging durch die zartbelaubten Gartenbäume, kündigte einen neuen, heftigen Schauer von Westen her an. Westen! Antwerpen! Wenn nur der elende Lazarus schon tot wäre.
Van Geldern schüttelte ärgerlich den Kopf. Zu früh. Der verräterische Kerl konnte noch nicht einmal die Hälfte der Strecke hinter sich haben. Ganz zu schweigen von der Schiffsreise nach London, dem bestochenen Matrosen, dem kurzen Stoß, dem Sturz über die Reling, der Lazarus’ Verderben gewesen wäre, nachdem er den Hauptteil des Pulvers in Antwerpen zu Geld gemacht hätte. Van Geldern war noch immer überzeugt, daß der Plan gelungen wäre, mit dem er auf sicherste Weise Geld gewonnen und einen gefährlichen Feind verloren hätte. Doch nun? Nach der Explosion taugte der Plan nicht mehr.
Freilich, wenn Lazarus mit dem Pulver und den Flüchtlingen noch vor Antwerpen ertappt würde, dann könnte er, van Geldern, ihm die Schuld zuschreiben, ihn einen Lumpen, einen Betrüger, einen Komplizen des Dürren nennen. Ja, der Rat würde ihm wohl glauben, ihn selber von jeder
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