Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
handelten auf Befehl eines reichen Patriziers, als auf eigene Faust und als Strauchdiebe.
Der Anführer stieß den Kutscher nun in Richtung des Stalls. Als beide darin verschwunden waren, nutzte Lazarus die Gelegenheit, um sich im Schutz der Mauer zum Stall zu schleichen. Blitzschnell bog er um die Ecke, lautlos tauchte auch er in den Stall ein. Maulend stand der Kutscher bei seinem Karren. »Steig hinauf und öffne Fässer und Kisten«, wies der Hauptmann ihn an.
»Ich gehorche nur den Befehlen meines Herrn«, antwortete der Fuhrknecht trotzig.
Der Soldat versetzte ihm eine derbe Maulschelle und riß gleichzeitig sein Schwert hoch, ein schwerer Flamberg mit doppelt geschliffener Klinge. Der Kutscher rieb sich die Wange, spuckte aus und erklomm dann die Ladefläche des Wagens.
»Öffne die beiden Kisten dort!« befahl ihm der Hauptmann. »Mir scheint, darin ließen sich leicht einige Halunken verstecken. Wenn dem so ist, dann gnade dir Gott, dein Leben ist keinen Heller mehr wert.«
Der Fuhrknecht wirbelte herum. »Ketzer sagst du? Davon hätte ich etwas merken müssen.«
»Du merkst nicht einmal, wenn dir eine Fliege im Mund sitzt. Mach schon Kerl.«
»Komm herab!« befahl ein anderer hinter ihm.
Der Hauptmann wirbelte herum, und mit einem Satz sprang der Mann im Brustharnisch und mit der Eisenhaube auf Lazarus zu. Mit einem gewaltigen Hieb traf das harte Blatt seines Zweihänders die leichte Klinge des Degenträgers.
Lazarus spürte den Schlag bis hinauf in die Schulterblätter, der geschmeidige Stahl seiner eleganten Waffe hielt der Anfechtung jedoch stand, und er parierte mit aller Kraft den Schlag. Die Kunst des Fechtens hatte er in Spanien erlernt und wußte, daß der flinke Gebrauch der Füße ebenso entscheidend für einen Sieg war wie die Kraft der Hände.
Schwerfällig riß der Soldat seine mörderische Waffe wieder nach oben. In wildem Haß wollte er sie beidhändig auf den Bartlosen herabsausen lassen, der aber wich aus und machte – sicher in der Kniebeuge ruhend – einen Ausfall. Eins, zwei, drei parierte er in schnellem Wechsel. Der Hauptmann fing einen Hieb ab und glitt mit seiner schweren Klinge an Lazarus’ Degen entlang. Ein Schaben, die Klingen wurden wieder getrennt, kreuzten sich erneut. Blitzen und Klirren. Der Hauptmann holte brüllend aus, hieb mit voller Wucht nach dem Fechtarm seines Gegners und traf den zierlichen Gitterkorb. Lazarus’ Griff lockerte sich unter der Wucht des Schlages, die Spitze des Schwerts bohrte sich zwei Zoll tief in seine Schwerthand und verfehlte um Haaresbreite die Pulsader. Lazarus verbiß sich den Schmerz, umklammerte den Degengriff fester und antwortete mit einer leichten Terz, die auf das Herz seines Gegners zielte. »Gib auf«, forderte Lazarus und zog den Degen nach Sitte des Edelmanns, der seinem besiegten Gegner die Würde nicht nehmen will, um wenige Millimeter zurück.
Doch der Hauptmann warf sich wieder nach vorn. Er hatte Lazarus’ ritterliche Geste richtig eingeschätzt. Der junge Mann war nicht gewillt, ihn aufzuspießen. Der Schwerthieb des Hauptmanns traf Lazarus mit der stumpfen Seite der Klinge in der Seite. Der spürte, wie eine Welle der Übelkeit in ihm hochstieg, Sterne tanzten vor seinen Augen, er wankte.
Mit beherztem Satz sprang nun der Fuhrknecht dem Soldaten in den Rücken und rächte sich mit einem harten Nackenschlag für die vorhin empfangene Maulschelle.
Der Hauptmann wirbelte herum, schüttelte wie ein wütender Stier den frechen Fuhrknecht ab, hob seinen Zweihänder bis über den Kopf und wollte ihn auf den Wehrlosen herabsausen lassen, als ihn der finale Stoß von Lazarus’ Degen traf – ein nadelscharfer Stich über der Brustwarze. Er ließ das Schwert fallen, Stroh dämpfte das Klirren. Regungslos stand der Hauptmann da. Er war leichenblaß, seine Augen standen weit offen, sein Mund klaffte. Eine Elle Stahl war ihm in den Leib gedrungen und beim Schulterblatt wieder ausgetreten. Er sank in die Knie und stöhnte. Blut tropfte aus der Wunde. Ein weiterer Hieb des Fuhrknechts nahm ihm das Bewußtsein, bevor er einen Schrei tun konnte. Dann zog der Kutscher einen Daggert aus dem Gürtel. Mit einer einzigen, knappen Bewegung hockte er sich hin, lockerte den Halsriemen an der Eisenhaube des Verwundeten, um den Harnisch zwischen Halsschild und Kinnriemen zu öffnen. Mit der anderen Hand zog er die Schneide der Klinge sanft und ruhig mit sauberem Schnitt durch die Kehle des Soldaten. Der Kutscher wischte den Daggert im
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