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Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)

Titel: Die Visionen der Seidenweberin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Wertheim
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vom Kutschbock, klopfte beruhigend die Flanke eines tänzelnden Zugpferdes und ging zu dem Kettenwächter hinüber.
    »Ich grüße Euch, Mann. Was gibt es, weshalb verwehrt Ihr die Durchfahrt?«
    »Wir handeln auf Anweisung des Greven. Eine Explosion zerstörte heute nacht sein Haus am Platz.«
    Lazarus tat erstaunt und erschreckt, dann sagte er: »Eine fürchterliche Sache. Köln kann sich glücklich schätzen, so wackere Wächter wie Euch zu haben. Schnell und tüchtig.«
    Der Hellebardenträger reckte das Kinn vor und bemühte sich um einen noch tüchtigeren Gesichtsausdruck. »Ich verstehe, daß unser Gespann nicht über den Platz rollen kann.« Er gab dem Kutscher das Zeichen zu wenden. Ein Schwall von Flüchen war die Antwort. Wieder wandte sich Lazarus an den Kettenwächter. »Nur eine Bitte habe ich. Ich bin auf dem Weg nach Antwerpen und muß im Haus zum Schwan noch eine Nachricht für einen Handelspartner dort abholen. Laßt mich kurz durch.«
    Der Wächter setzte eine amtliche Miene auf. »Habt Ihr Papiere?«
    »Gewiß«, antwortete der Bartlose freundlich lächelnd und zog die vom Erzbischof erteilten und vom Rat beglaubigten Passierscheine Arndt van Gelderns hervor. Der Wachmann warf einen Blick auf das Gaffelzeichen. »Hm, einer von der Kaufmannsgaffel Windeck ist also Euer Auftraggeber. Ziemlich vornehm, fürwahr.« Er bohrte seine Blicke weiter in das Papier, so als wolle er es mit seinen Augen verbrennen.
    Lazarus begriff, der tüchtige Kettenwächter konnte nicht lesen. »Ja«, sagte er zuvorkommend, »Arndt van Geldern gehört zu den ...«
    »Van Geldern?« stieß der Wächter hervor. »Unmöglich kann ich Euch durchlassen. Unmöglich, denn ...«, er kaute auf den Enden seines Schnurrbartes und schaute verwirrt drein. »Wartet einen Moment«, sagte er endlich entschlossen, »ich werde den Greven befragen. Wartet hier.«
    Der Wächter verschwand, mit alarmiertem Blick verfolgte Lazarus ihn. Dann drehte er sich um, rannte zu dem Fuhrwerk, das der Kutscher eben gewendet hatte, sprang auf. »Fahr los, zum Henker, fahr!« schrie er. Verblüfft gab der Kutscher den Pferden die Peitsche, mit gewaltigem Ruck zog der Wagen an.
    Der Planwagen rumpelte über holpriges Pflaster, fuhr über alte Krautköpfe auf den Heumarkt zu. Marktschreier riefen heiser, maskierte Narren tanzten, es stank nach Abfall. Hühner entwischten gackernd den Hufen, ein Schwein lag grunzend in der Mitte der Fahrbahn, Bauern trieben ihr Vieh zu Markte, vor den Brunnen standen Mädchen, vor den Kirchen Bettler, vor der Münze auf dem Heumarkt Juden und Holländer. Verwundert folgten auch ihre Blicke dem Fuhrwerk, das schwankend und mit knirschenden Achsen ein wahres Höllentempo vorlegte. Der Schlamm spritzte unter dem Hufschlag der Pferde nach allen Seiten, Schaum stand den Tieren vor dem Maul, als der Fuhrmann sie zügelte und zum Stehen brachte.
    Stolz wandte er sich – bei der Weyerpforte angelangt – an Lazarus. »Nun?« fragte er triumphierend.
    »Du bist verflucht noch mal der beste Kutscher, den ich je sah«, lobte Lazarus grimmig. Der Fuhrknecht lachte und streckte seine schwielige Pranke aus. Sein Dienstherr legte einen blanken Taler hinein. »Dafür«, versprach der Fuhrmann, »werde ich gerne mein Maul halten. Eure Freundschaft ist es wert.«
    Die Torwächter an der Weyerpforte ließen die Nachzügler unkontrolliert passieren. Nur wenig später fanden sie Anschluß an den Troß, der gen Antwerpen zog: Weinhändler, Tuchkaufleute, Getreideverkäufer in prachtvollen Fuhrwerken, dazwischen unternehmungslustige Kleinkrämer, die mit Kölner Töpferware, Kiepen voller Lederzeug und Kurzwaren beladen hatten. Sie hofften, ihre Ware in Antwerpen gegen Spezereien einzutauschen, mit denen sie in Köln doppelten Gewinn machen würden – Safran, Kaneelblumen, Nelken, Priskörner, Zedewar, Brasilholz, Zinnober und Grünspan oder einfach ein paar Fäßchen Rosinen. Mehr ging diesen kleinen Glücksrittern nicht durch den Kopf.
    Lazarus hingegen trug schwer an seiner Schuld, die er nicht mehr hatte tilgen können. Die Pulversäckchen van Gelderns waren entdeckt, sein Ruin sicher und Columba für ihn verloren. Die gelungene Rettung Tringins und Luthgers tröstete ihn nicht. Grübelnd starrte der junge Mann in die Ferne. Regenwolken ballten sich am Horizont. Die Reise führte mitten in eine schwarze Gewitterwand.
    8
    Ä rgerlich drängte der Diakon die greinenden und tuschelnden Frauen beiseite. Er ging mit festen Schritten zu der Kammer,

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