Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
in der die Kornmeisterin aufgebahrt war, betete an ihrem Bett und segnete sie mit knappen Gesten. Dann gab er Anweisung, die Leiche zu waschen, anzukleiden und den Sargmacher zu bestellen. Als Termin für das Begräbnis nannte er den nächsten Tag, als Ort den kleinen Gottesacker bei St. Alban. Er sprach mit großer Überzeugungskraft, dennoch schauten ihn die Konventsschwestern zweifelnd an.
»Ehrwürdiger Vater, ist es richtig, den Fall nicht dem Gewaltrichter zu melden? Muß dieser Todesfall nicht untersucht werden? Was haltet Ihr von der schrecklichen Verstümmelung?« bestürmten die Konventsschwestern ihn.
»Es war ein Treppensturz, die bedauernswerte Frau brach sich das Genick.«
»Aber die blutigen Buchstaben auf ihrer Brust? Haltet Ihr sie nicht für Satanszeichen? Unsere Magistra glaubt selbst, sie sei besessen, o Herr im Himmel, hilf!«
Der Diakon runzelte ärgerlich die Stirn und brachte die Frauen mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Laßt ab von diesem Gewäsch, diesem ganzen Sauerteig aus Bosheit und Schalkheit. Denkt an das Pauluswort: ›Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen, wollen sie aber etwas lernen, so lasset sie daheim die Männer fragen.‹ Ich bin euer Beichtvater und Mittler Gottes. Ich werde den Fall prüfen. Bis dahin seid still und geht an eure Arbeit. Du«, wandte er sich an eine Novizin, die ihn aus schreckensweiten Augen anstarrte, »wirst die Tote waschen und ankleiden. Du«, wies er eine andere an, »laufe zum Sargschreiner Goswin.«
Die angesprochenen Frauen senkten den Kopf und gehorchten, einige wenige wagten ein Murren. Der Diakon beachtete sie nicht weiter, betrat die Kammer der Magistra und schloß die Tür hinter sich.
Rebecca lag in unruhigem Schlaf auf ihrem Bett, sie hatte das Bewußtsein noch nicht wiedererlangt. Stöhnend warf sie sich auf dem Lager hin und her. Der Diakon kniete sich neben sie hin und faßte nach ihrer rechten Hand. Die Magistra seufzte, mit den Lippen formte sie ein Wort. Der Diakon beugte sich zu ihr hin.
»Was, meine Geliebte, willst du mir sagen?« fragte er flüsternd. Rebeccas Augenlider begannen zu flattern, endlich hoben sie sich. Mit leerem Blick schaute sie den Mann über sich an. Sie erkannte ihn nicht.
»Was siehst du?« drängte der Diakon.
»Tod«, flüsterte sie tonlos und sank zurück in ihre Betäubung.
»Den Tod?« fragte der Beichtvater zärtlich. »Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg? Fürchte dich nicht, meine Herrin. Mundus praegnans de Deo est – die Welt ist schwanger mit Gott, und ich bin schwanger mit dir, denn wir sind sein erwähltes Paar.« Er preßte seine Lippen auf ihren Mund. »Bald werde ich mich dir ganz anvermählen, süßes Herz, der Herr wird mir ein Zeichen geben, nur darauf warte ich.«
Am nächsten Morgen noch schrieb Rebecca einen Brief an den Kurfürst-Erzbischof. Darin klagte sie sich selbst der Besessenheit an. Sie übergab ihn, die Schaffnerin meidend, einem Metzgersboten, während sie im Garten einen kurzen, sehr kurzen Gang tat.
Wie lange würde der Brief bis in die Bonner Kanzlei benötigen? Man wußte es nicht, es war Karneval.
VI.
Maskeraden
1
H eftige Regenfälle hatten eingesetzt. Sie überfluteten die Keller der rheinnahen Häuser, spülten die Samenbeete der Gemüsebauern fort und die Narren in die Schenken und Tavernen, wo sie ausgelassen den Karneval feierten. Sie »beschütteten sich dabei so sehr mit Wein, daß sie wie Schweine zwischen den Tischen lagen«, notierte ein Ratsherr später.
Am darauffolgenden Mittwoch wurde im Dom die Fastenzeit eingeläutet. Asche wurde mit Weihwasser besprengt und in kleinen Kreuzen auf die Stirn der frommen Sünder gestrichen, wobei der Priester die immer gleiche Formel wiederholte: »Memento, homo, quia cinis es« – Gedenke Mensch, daß du Asche bist und zur Asche zurückkehrst. Sodann kniete er nieder, um die sieben Bußpsalmen zu beten: Gloria patri – Ehre sei dem Vater – Kyrie eleison – Herr, erbarme dich unser ...
Im Hause Arndt van Gelderns herrschte bleierne Stille. Das Gesinde hatte es nicht gewagt, an den üblichen Tanzvergnügungen und Zechereien teilzunehmen. Entsprechend mürrisch gingen Knechte und Mägde ihrer Arbeit nach. Mertgin hüllte sich in tiefstes Schwarz und Schweigen, obwohl in vier Tagen – am Sonntag, dem Fest des Apostels Matthias – die Heirat ihres geliebten Schützlings Columba stattfinden sollte. Die Fakturisten und
Weitere Kostenlose Bücher