Die Visionen der Seidenweberin (German Edition)
einem Holztiegel und tat etwas von der Suppe auf. »Hier, es ist zwar nur unsere gewöhnliche Kost und nicht, was die Schaffnerin für die Magistra zu kochen pflegt«, sagte sie mit einem annähernd freundlichen Lächeln, »aber versuche dein Glück. Vielleicht ißt sie etwas, wenn du es ihr gibst.«
Columba griff das Schüsselchen und etwas Brot und verließ nachdenklich die Küche.
»Ein Unfall! Besser wäre es, Rebecca stürbe, bevor sich ein weiterer ereignet«, schimpfte Hergard, »du hegst ein allzu großes Gottvertrauen, Schwester!«
»Dein Urteil ist hart und unbarmherzig, Schwester Hergard. Der Diakon hat den Fall untersucht. Er sagt, daß nichts für einen Frevel spricht.«
Hergard fuhr herum, Küchendampf umwirbelte sie. »Und die blutigen Buchstaben auf der Brust der Toten? Hat er sie mit seinen Worten weggewischt aus deinem Gedächtnis?«
Die andere biß sich auf die Lippen. »Nein, aber vielleicht gibt es eine ganz einfache Erklärung.«
Hergard nickte spöttisch. »Freilich gibt es die. Satan hat in unserem Konvent Quartier genommen.«
»Der Diakon leugnet es. Er ist ein tiefgläubiger, kluger Mann, er würde sich nicht täuschen lassen.«
»Nun«, sagte Hergard beinahe einlenkend, »wenn es nicht Satan ist, der hier sein Unwesen treibt, muß es Rebecca selber sein. Vielleicht stieg ihr die Verehrung der Gläubigen zu Kopf, vielleicht hat sie alle ihre Visionen, ihre mystischen Erscheinungen, diesen Brautring Christi nur vorgetäuscht.«
Die andere runzelte zweifelnd die Stirn. »Warum sollte sie dann die Kornmeisterin töten? Das eben ergibt keinen Sinn.«
Hergard tauchte einen Holzlöffel in die Suppe und kostete. Sie leckte sich die Lippen, dann sagte sie kalt: »Das ergibt durchaus Sinn. Was, wenn die Kornmeisterin unsere Magistra bei einer ihrer Betrügereien entdeckte? Hast du dich nie gefragt, was sie bei Nacht auf dem Korridor suchte? Die Kornmeisterin war nicht zu gutmütig, um scharfsinnig zu sein. Nur wenige Tage vor ihrem Tod machte sie zu mir eine Bemerkung über ein Unrecht, dem sie auf der Spur sei.«
»Sprach sie dabei von Rebecca?« fragte die andere hartnäckig.
»Wen sonst hätte sie meinen können?«
»Eine, die boshaft genug wäre, um allen Verdacht auf Rebecca zu lenken. Eine, deren Herz und Gemüt von Haß und Neid zerfressen ist. Eine wie ...«
»Was steht ihr herum und schwatzt!« Die scharfe Stimme der Schaffnerin ließ die beiden Köchinnen ertappt herumfahren.
7
M ein lieber, werter van Geldern, wie froh bin ich, daß die ganze leidige Sache aus der Welt ist.« Vom üppigen Mahl gesättigt, hob der Gewaltrichter seinen Weinpokal und prostete dem Hausherrn zu. Sie saßen allein im Morgensaal. Butterwecken, eingelegte Kirschen in Zimt, gedörrte Äpfel und mit buntem Zucker überzogene Korianderkörner bildeten den Abschluß des Mittagsmahls.
Der Kaufherr nickte kurz und trank ebenfalls. Hastig setzte der Gewaltrichter wieder ab, wischte sich den Mund und bemerkte: »Wenngleich da noch der Pulvermüller Rutger ist. Verstockter Kerl. Möchte sein, daß ich ihm mit dem peinlichen Verhör drohen muß, um ihn zum Reden zu bringen. Wie konnte er sich so vergessen, sein Pulver an Euren Angestellten zu verkaufen ...«
»Vergeßt den Kerl. Übt Barmherzigkeit, er ist der beste Pulvermacher unserer Reichsstadt. Es wäre ein großer Verlust, wenn er Schaden nähme. Die Verteidigung Kölns ist zu wichtig, als daß man auf ihn verzichten könnte.«
Der Gewaltrichter stimmte zu, nur um sofort einen weiteren Einwand zu machen. »Ihr seid ein wirklich umsichtiger Mann, van Geldern. Eine Schande, daß Ihr nicht im Rat sitzt. Da bleibt nur die Frage, was Euer dürrer Sekretär mit der ganzen Sache zu schaffen hatte. Er ist nie als Ketzerfreund auffällig geworden. Oder hatte er eine Neigung zu Eurer Tochter Columba?«
Van Gelderns Augen verengten sich zu Schlitzen. Infamer, gieriger Kerl. »Ich verstehe Euch nicht. Was sollte meine Tochter mit ihm zu schaffen haben? Sie weiß, was sich geziemt. Und wie kommt Ihr darauf, sie mit den Ketzern in Verbindung zu bringen? Heute hat sie sich zu einem keuschen Leben als Begine entschlossen und ...«
»Wird bei Rebecca, Eurer Schwägerin leben. Seltsam, van Geldern, nicht wahr, wie viele unberechtigte Verdächtigungen es gegen Eure Familie gibt. Der Herr erlegt Euch viele Prüfungen auf, so als wäret Ihr Hiob. Aber so macht er es wohl mit denen, die er am meisten liebt und begünstigt.« Er griff nach einem Schälchen mit
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